Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
beliebte Themen. Ich malte mir schon die Überschrift für seine Story aus; bestimmt würde das Wort »Liebessklavin« darin auftauchen. Und hier, in meinen intimen Aufzeichnungen, gestehe ich, daß ich bereit war, die arme Bertha diesem irischen Pressewolf zum Fraß vorzuwerfen, wenn er durch ihre Geschichte von anderen Aspekten des Falles abgelenkt würde.
Es gab jedoch keinen Grund, warum ich mir große Mühe hätte geben sollen, Kevin einen Gefallen zu tun. Also unterbrach ich ihr Gespräch und schickte Bertha zu Bett. »Sie sollten das gleiche tun, Kevin. Wir stehen bei Morgengrauen auf, und es wird ein langer Tag werden.«
»Nicht für mich«, meinte Kevin und lächelte träge. »Wir Detektive haben unsere eigenen Arbeitszeiten. Sich da und dort umsehen, mal den einen befragen und mal den anderen …«
»Sie werden sich nirgendwo umsehen. Sie kommen mit mir, damit ich Sie im Auge behalten kann.«
»Nun gut, aber einen Versuch war es zumindest wert«, murmelte Kevin. »Wenn ich Sie begleite, Mrs. – Miss Peabody, können Sie mir alles über Ihre kühne Rettung des Professors erzählen. Das wird nämlich zwangsläufig ans Licht kommen«, fügte er mit herausforderndem Grinsen hinzu. »Zur Zeit befragen einige meiner rührigen Kollegen verschiedene Einwohner von Luxor. Wie ich gehört habe, sind Sie ziemlich rabiat dabei vorgegangen. Wäre es Ihnen nicht lieber, wenn die wahren Tatsachen veröffentlicht würden anstatt die übertriebenen Hirngespinste mancher meiner Kollegen …«
»Ach, halten Sie den Mund und gehen Sie zu Bett«, fauchte ich ihn an.
Er machte sich davon, wobei er ein sentimentales irisches Lied säuselte, und zwar nur, um mich zu ärgern. Als ich in mein Zelt kam, schlief Bertha bereits oder tat zumindest so. Ich nahm mir fest vor, sie zu fragen, worüber sie mit Kevin gesprochen hatte, doch im Augenblick beschäftigten mich andere Dinge. Nachdem ich mich niedergelegt hatte, fand ich endlich Gelegenheit, über Evelyns Brief nachzudenken.
Auf ihre ersten beiden Überlegungen war ich bereits selbst gestoßen; die dritte war mir jedoch, wie ich zugeben mußte, bisher nicht eingefallen. Und ich hätte mich fast zu Tode geärgert, als mir klar wurde, wie dumm ich gewesen war. Daß ein junger Herr gerade an dem Tag in der Schule erschien, als Nefret dort erwartet wurde, und daß er darauf bestand, einige der Schülerinnen kennenzulernen – das war in hohem Maße verdächtig, und ich begriff nicht, warum mir das seinerzeit nicht aufgefallen war. War es möglich, daß mütterliche Instinkte, die ich in mir nie vermutet hätte, meinen ansonsten klaren Verstand vernebelt hatten?
Höchst unwahrscheinlich, schloß ich.
Evelyns klare Darlegung hatte mir etwas anderes bewußt gemacht, worauf ich schon viel früher hätte kommen müssen. Kein einzelnes, verdachterregendes Indiz, sondern nur das Zusammenspiel vieler bestätigender Hinweise überzeugte mich hinreichend davon, um welchen Feind es sich handelte, der als einziger zu solch gewaltsamem und beharrlichem Vorgehen fähig war. Vielleicht war er überhaupt erst durch ein Gespräch mit Willoughby Forth auf die Fährte gelockt worden, der anscheinend mit jedem Archäologen in Ägypten geplaudert hatte. Geschicktes Ausfragen der Offiziere des sudanesischen Expeditionscorps konnte ihm zusätzliche Hinweise verschafft haben. So sehr es mir auch widerstrebte, auch nur im mindesten Walter die Schuld zu geben – aber ich hatte ihn mehr als einmal warnen müssen, nicht den Eindruck zu erwecken, er wisse mehr, als er eigentlich wissen konnte. Unter den Philologen herrschte ein freundschaftlicher Wettstreit; hatte er womöglich gegenüber Frank Griffith angedeutet, daß er kurz vor einem wundersamen Durchbruch in der Entzifferung der meroitischen Sprache stünde? Griffith war ein ehrenwerter Mann, ich hätte ihn niemals verdächtigt. Aber vielleicht hatte er ja mit einem anderen Kollegen über diese Angelegenheit gesprochen.
War der Schurke auf diese Weise erst einmal auf eine Vermutung gestoßen, würde er nach weiterer Bestätigung suchen – und welche Quelle wäre hierfür besser geeignet als Nefret? Sie war bei weitem nicht so naiv und hilflos, wie Evelyn glaubte, aber Evelyns Ansicht wurde – wie Nefret selbst dargelegt hatte – von der Gesellschaft geteilt. Es gab eine Vielzahl von Möglichkeiten, eine einmal geschlossene Bekanntschaft weiterzuführen; falls alle anderen fehlschlugen, würde der gute alte »Unfall vor dem Parktor«
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