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Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod

Titel: Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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Professor?«
    Er wartete meine Erlaubnis nicht ab, sondern riß die Tür auf, schritt hindurch und ließ sie hinter sich zuknallen.
    »Ein komischer Kauz, nicht wahr?« meinte Cyrus stolz, als ob Schadenfreudes merkwürdiges Verhalten Beweis für sein berufliches Können wäre.
    »Äh … das kann man sagen. Cyrus, sind Sie sicher …«
    »Er ist ein Zauberkünstler, meine Liebe. Ich bin der lebende Beweis für seine Heilmethode.«
    Schadenfreude blieb ziemlich lange im Zimmer. Kein Laut war zu hören – nicht einmal das Gebrüll, das ich eigentlich von Emerson erwartet hatte –, und ich wurde allmählich unruhig, als die Tür endlich aufging.
    »Nein, nein, gnädige Frau«, rief Schadenfreude und hielt mich zurück, als ich schon eintreten wollte. »Ehe Sie auch nur ein Wort mit dem Kranken sprechen, müssen wir uns unterhalten. Herr Vandergelt, führen Sie uns bitte in ein Besprechungszimmer und besorgen Sie der Dame eine Erfrischung.«
    Wir zogen uns in meinen Salon zurück. Ich lehnte den Brandy ab, den der Arzt mir aufdrängen wollte – die Lage war zu ernst, um sich kurzfristig mit Spirituosen zu trösten –, und er widmete sich dem Bier, um das er gebeten hatte, mit solchem Genuß, daß sein Schnurrbart, als er den Kopf vom Glas hob, mit Schaum bedeckt war. Doch als er zu sprechen begann, wirkte er überhaupt nicht lächerlich.
    Viele Menschen hegten in jener Zeit Argwohn gegen die Psychotherapie. Mein Verstand jedoch ist immer offen für neue Ideen, wie abstoßend sie auch sein mögen. Mit Interesse hatte ich die Werke verschiedener Psychologen wie William James und Wilhelm Wundt gelesen. Da einige ihrer Thesen – besonders Herbarts Theorie von der Schwelle des Bewußtseins – mit meinen eigenen Beobachtungen der menschlichen Natur übereinstimmten, neigte ich zu der Ansicht, daß diese Wissenschaft, wenn sie auch noch in den Kinderschuhen steckte, möglicherweise einige nützliche Einblicke bot. Die Theorien des Herrn Doktor Schadenfreude waren tatsächlich unorthodox, aber ich fand sie auf beängstigende Weise einleuchtend.
    »Der unmittelbare Grund für den Gedächtnisschwund Ihres Gatten ist ein Trauma – ein Schlag auf den Kopf. Hat er in diesem Bereich schon öfter Verletzungen erlitten?«
    »Nun … nicht übermäßig häufig …«, fing ich an.
    »Da würde ich widersprechen«, meinte Cyrus. »Ich kann mich in den wenigen Wochen, die wir gemeinsam im Baskerville House wohnten, an wenigstens zwei Gelegenheiten erinnern. Mein alter Freund hat etwas an sich, was die Leute geradezu reizt, ihm eines über den Schädel zu ziehen.«
    »Er geht körperlichen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg, wenn er hilflosen Menschen beisteht oder für die Gerechtigkeit eintritt«, erklärte ich.
    »Nun denn! Allerdings war der Schlag nur der unmittelbare Auslöser. Er hat nicht nur seinen Kopf, sondern die unsichtbare Membran des Unbewußten verletzt. Und durch diesen Riß, diese beschädigte Stelle dringen nun Ängste und Wünsche nach außen, die sein Bewußtsein lange unterdrückt hat. Kurz und für Laien verständlich ausgedrückt – gnädige Frau, Herr Vandergelt –, hat er die Dinge vergessen, an die er sich nicht erinnern will.«
    »Meinen Sie«, sagte ich traurig, »daß er sich nicht an MICH erinnern will?«
    »Es geht nicht um Sie persönlich, Frau Emerson, sondern um das, was Sie symbolisieren.«
    Wenn ein Mann erst einmal anfängt zu fachsimpeln, tut er das meist sehr wortreich. Deswegen werde ich den Vortrag des Herrn Doktor zusammenfassen. (Ich muß Sie warnen, werter Leser, denn einige seiner Aussagen waren recht schockierend.)
    Mann und Frau, erklärte er, seien natürliche Feinde. Die Ehe sei bestenfalls ein Waffenstillstand zwischen zwei Individuen, die sich von Grund auf unterschieden. Die Frau, die den Haushalt führe, habe das Bedürfnis nach Frieden und Sicherheit. Der Mann, der Jäger, hingegen habe das Bedürfnis nach der Freiheit, über andere Männer und auch Frauen (der Arzt drückte das dezenter aus, aber ich verstand, was er meinte) herzufallen. Die Gesellschaft ihrerseits ziele darauf ab, diese natürlichen Bedürfnisse des Mannes zu unterdrücken, und die Religion verbiete sie. Doch die Bestie im Mann renne ständig gegen die Mauern der Zurückhaltung an, und wenn irgendwo ein Riß entstünde, breche diese Bestie aus.
    »Du meine Güte«, murmelte ich, als der Doktor innehielt, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
    Cyrus war feuerrot angelaufen, biß sich auf die

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