Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
hast, wollte ich lediglich sagen, daß man im Augenblick noch nicht wissen kann, ob man eine Lösung finden wird oder nicht. Mir sind schon ein paar Dinge eingefallen.«
Da Emerson bemerkte, daß Ramses, dem es nie an Ideen mangelt, das Wort ergreifen wollte, meinte er rasch: »Es ist spät. Wir sollten zu Bett gehen. Denkt daran, ihr dürft niemandem ein Sterbenswörtchen verraten. Wenn O’Connell Wind davon bekommt, wird er wieder mit seinen alten Geschichten anfangen und von einem Fluch schwafeln. Und ich traue Miss Marmaduke nicht zu, sich seinem Charme zu entziehen.«
»Also findest du Mr. O’Connell charmant?« fragte ich, als wir den Salon verließen.
»Nicht im geringsten«, entgegnete Emerson kühl. »Ich habe lediglich von seiner Wirkung auf leichtgläubige Frauen gesprochen, die ich schon öfter beobachten konnte.«
In den nächsten Tagen wurde Emersons Geduld auf eine harte Probe gestellt, denn der Mirror traf pünktlich ein, die Times folgte, und Cook’s Reisebüro hatte uns zur Station seiner Besichtigungstouren ernannt (»Zwei Dampferfahrten wöchentlich in der Hochsaison«). Emersons Gesicht beim Anblick der berittenen Touristenhorde, die sich auf uns stürzte, war eine Sehenswürdigkeit an sich. Die ängstlicheren Naturen zogen sich bei seinem ersten Gebrüll zurück, doch einige waren erstaunlich hartnäckig und verschwanden erst, als er sie mit einem Holzbrett bedrohte.
Wir wurden nicht nur von Reportern und Touristen bedrängt, sondern, wie Emerson vorausgesehen hatte, auch von unseren Archäologenkollegen. Als erster traf Cyrus Vandergelt, unser wohlhabender amerikanischer Freund, ein. Quibell und Newberry statteten uns »eine Stippvisite« ab, Howard Carter schneite herein, sobald er sich von seinen Pflichten loseisen konnte, und sogar Monsieur Maspero beehrte uns mit einem kurzen Besuch, obwohl Emerson alles getan hatte, um ihm das auszureden.
Von unseren Freunden blieb nur Reverend Sayce fern, der, wie ich zu meinem Bedauern erfuhr, an einem Anfall von Rheumatismus litt (Emerson bedauerte das überhaupt nicht). Auch Mr. Petrie ließ sich nicht blicken. Da die Petries in diesem Jahr Ausgrabungen in Abydos durchführten, war das um so erstaunlicher. Howard begründete es mit Petries Arbeitssucht, Emerson mit Groll und Neid.
»Wenigstens«, bemerkte er ärgerlich, »brauchen wir keine Angst zu haben, von Grabräubern gestört zu werden. Sie könnten sich dem Grab unmöglich nähern, ohne über einen Reporter oder Archäologen zu stolpern.«
Daß unsere bekannten und unbekannten Feinde uns so geringes Interesse entgegenbrachten, war wirklich erstaunlich. Von Riccetti hatten wir nichts mehr gehört, und die Nächte am Grab und auf der Dahabije verliefen friedlich.
Meiner Ansicht nach war das ein unheilvolles Vorzeichen, doch Emerson weigerte sich standhaft, mir zuzustimmen.
Wie wahr ist doch der Satz, daß niemand so blind ist wie die, die nicht sehen wollen! Allerdings trifft mich ein Teil der Schuld. Ich war mit unserer Arbeit beschäftigt und wurde allmählich selbstzufrieden und leichtsinnig. Und dafür sollte ich einen hohen Preis bezahlen müssen.
Aber welcher Ägyptologe hätte den Verlockungen dieses Grabes widerstehen können? Die bemalten Reliefs waren bemerkenswert, die Farben kaum verblaßt, die Umrisse eindeutig und scharf. Emerson und Walter verbrachten viel Zeit mit der Debatte, was diese Szenen, historisch betrachtet, zu bedeuten hatten, und mit der Übersetzung der Hieroglyphen. Doch ich möchte den Laien unter meinen Lesern weitere Einzelheiten ersparen.
Das Freilegen der vorderen Kammer dauerte nicht so lange, wie ich erwartet hatte. Da die Grabräuber auf der Suche nach veräußerbaren Objekten den Schutt beiseite geschaufelt hatten, war die ursprüngliche Anordnung so durcheinandergebracht worden, daß sogar Emerson die Hoffnung aufgab, den Urzustand wiederherstellen zu können. Die meisten übriggebliebenen Gegenstände stammten aus der Zeit lange nach Tetischeri und waren nicht gut erhalten. Die Diebe hatten nicht viel zurückgelassen, beim Wühlen nach Amuletten die Mumien zerstört und die zerbrechlichen Holzsärge zerschmettert. Letztere hatten die sterblichen Überreste einer Priesterfamilie aus der Einundzwanzigsten Dynastie beherbergt, die Tetischeris Vorzimmer als Grab genutzt hatte, bis eine Gerölllawine oder ein Erdbeben den Eingang verschüttete.
Uns fesselte die Arbeit sehr, was jedoch nicht für die Journalisten galt. Da wir nach einer Weile weder
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