Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Mumien, Juwelen noch goldene Gefäße zutage gefördert hatten, zogen sie sich in ihre Hotels in Luxor zurück, wo sie ihre Zeit damit verbrachten, Alkohol zu trinken und den Phantasiegeschichten der Einheimischen zu lauschen. Auch unsere Archäologenfreunde verabschiedeten sich. Sie hatten ihre eigenen Pflichten, und Emerson brauchte, wie Mr. Quibell mit einem verlegenen Lächeln anmerkte, noch länger als Petrie, um ein Grab freizulegen.
Nicht einmal unseren Kollegen gestand Emerson, daß wir schon über die vordere Kammer hinausgekommen waren. Er hatte die Öffnung verschlossen und weigerte sich sogar, sie wieder zu öffnen, als der Direktor der Antiquitätenverwaltung ihm die Anweisung dazu gab.
Monsieur Masperos sichtliche Erleichterung beim Anblick unserer Holztreppe amüsierte mich sehr. (Er war ein wenig beleibt und kurzatmig.) Nachdem er die Reliefs in Augenschein genommen hatte, unterbrach er Emersons Vortrag über die Kunstgegenstände, die wir bis jetzt gefunden hatten.
»Mein lieber Herr Kollege, ich vertraue darauf, daß Sie die Ausgrabungen auf untadelige Art und Weise durchführen. Aber was ist mit der Mumie der Königin?«
Da Emerson eine Miene aufsetzte, die bei ihm häufig einer unhöflichen Antwort vorausgeht, wandte ich beruhigend ein: »Wir haben die Grabkammer noch nicht untersucht, Monsieur. Sie kennen ja die Methoden meines Mannes.«
Nickend wischte Maspero sich die schweißnasse Stirn. Bei einem anderen Archäologen hätte er vermutlich darauf bestanden, den Gang öffnen zu lassen, doch Emerson war kein Fremder für ihn. »Werden Sie mich benachrichtigen, bevor Sie die Grabkammer betreten?« fragte er wehmütig.
»Gewiß, Monsieur«, entgegnete Emerson in seinem fließenden, wenn auch durch einen starken Akzent entstellten Französisch. »Wie konnten Sie nur glauben, daß ich das nicht täte?«
»Hmmm«, brummte Maspero und keuchte die Stufen hinab.
Cyrus war der einzige Besucher, der uns erhalten blieb. Da sein Hilfsangebot von Emerson strikt zurückgewiesen wurde, begann er im Tal der Könige mit seiner eigenen Ausgrabung. Doch weil sein Haus in der Nähe des Eingangs zum Tal lag, war er in der Lage, uns »Tag und Nacht auf die Nerven zu fallen«, wie Emerson es ärgerlich ausdrückte. Das Anwesen, das von den Einheimischen als »das Schloß« bezeichnet wurde, war geräumig, elegant und mit allem modernen Komfort ausgestattet. Cyrus lud uns zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot ein und erbot sich, uns alle zu beherbergen.
»Wenigstens Mr. und Mrs. Walter Emerson«, beharrte er. »Sie sind das unbequeme Leben nicht so gewöhnt wie wir alte Hasen, Mrs. Amelia. Die Dahabije muß mit sechs Personen ziemlich überfüllt sein.«
Ich lehnte die Einladung ab, behielt mir aber vor, später darauf zurückzukommen. Das Schloß verfügte über eine Menge Personal und hatte dicke Mauern wie eine Festung. Vielleicht würden wir es noch brauchen …
Als die trügerische Ruhe von den ersten unheilverkündenden Vorzeichen gestört wurde, die auf das Vorhandensein feindlicher Mächte hinwiesen, speisten wir gerade mit Cyrus im Hotel Luxor. Widerwillig hatte sich Emerson mit diesem Essen einverstanden erklärt, hauptsächlich deshalb, weil die Männer am nächsten Tag, einem Freitag, ohnehin nicht zur Arbeit erscheinen würden. Meine wiederholte Bemerkung, wir hätten alle ein wenig Abwechslung nötig, hatte weniger eine Rolle gespielt. Evelyn wirkte müde, und Nefret war stiller und geistesabwesender als sonst.
In seiner typischen Großzügigkeit hatte Cyrus unsere ganze Truppe und auch den jungen Ägyptologen Amherst eingeladen, den er eingestellt hatte, um seine eigene Ausgrabung zu überwachen. Also war unsere Tischgesellschaft ziemlich groß, und Cyrus’ Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, als er vom Kopf der Tafel aus die Anwesenden betrachtete.
»Ist das nicht famos?« fragte er mich, die ich natürlich zu seiner Linken saß. »Je mehr, desto lustiger, das ist meine Devise. Und es ist wirklich ein hübscher Anblick, solange man von mir häßlichem alten Mann absieht.«
Ich mußte ihm leider zustimmen. Niemand schmückt eine Tafel besser als mein lieber Emerson (wie immer gebräunt und strotzend vor Gesundheit). Mit einem liebevollen Lächeln beobachtete er, wie Nefret sich in gespielter Höflichkeit an Ramses wandte. Sie hatte sich in letzter Zeit einen zuckersüßen Sarkasmus angewöhnt, den Emerson natürlich überhaupt nicht wahrnahm. Ramses hingegen spürte es zwar
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