Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
vorbeieilenden Kellner heran. »Die Damen haben das gleiche Recht darauf, ein wenig auszuspannen, wie die Arbeiter. Wenn Sie Ihnen einen Tag freigeben, biete ich mich gern als Begleiter an. Tempel, Gräber oder Einkaufsbummel, meine Damen, ganz wie es Ihnen beliebt – Cyrus Vandergelt ist Ihr Mann. Wie wäre es mit dem Tal der Könige? Ich habe ein ganz besonderes Faible dafür, und Miss Nefret hat mir erzählt, sie sei noch nie dort gewesen.«
Wir sprachen noch darüber, als die anderen zurückkamen.
O’Connell lächelte Gertrude an und überschüttete sie mit irischen Komplimenten. War es ihr gelungen, auch ihn auf ihre Seite zu ziehen? Ich beschloß, sie ernsthaft ins Gebet zu nehmen.
Ich gebe ganz ehrlich zu, daß mich das Pflichtgefühl zwang, mich einzumischen. Emerson klagt ständig über meine Schwäche für junge Liebespaare, wie er es nennt, und ich kann nicht leugnen, daß es mir Freude macht, romantische Verbindungen einzufädeln. (Natürlich nur, wenn sie auch im Hafen der Ehe münden.) In diesem Fall jedoch ging es nicht um eine mögliche Ehe, sondern um eine mögliche Verschwörung. Ich war es meiner Familie schuldig herauszufinden, ob Sir Edward und Gertrude »unter einer Decke steckten«, wie Cyrus es ausgedrückt hätte. Vielleicht wollte sich Sir Edward auch nur ein wenig die Zeit vertreiben. Und wenn letzteres der Fall sein sollte, war es meine moralische Pflicht, eine Frau, die offenbar nicht über meine Erfahrung mit dem männlichen Geschlecht verfügte, in aller Freundschaft zu warnen.
Das erklärte ich Emerson später, als wir zur Amelia zurückkehrten. Leider hatte er dafür nur ein paar äußerst leichtfertige Bemerkungen übrig und entwickelte eine weitere Theorie, die ich hier lieber nicht wörtlich wiedergeben möchte.
Um es etwas weniger salopp auszudrücken: Gertrude sei gar nicht so unerfahren. Sir Edward (der sich wie die meisten Männer gern für unwiderstehlich hielte) sei von einer hinterhältigen Abenteurerin verführt worden. Dann fügte Emerson noch hinzu, daß Männer zuweilen heftig von Eigenschaften angezogen werden, die einem nicht sofort ins Auge stechen.
Ich konnte nicht leugnen, daß vielleicht ein Körnchen Wahrheit darin lag. Doch wie ich glaubte, konnte ich dem einiges entgegensetzen: »Ich stimme dir völlig zu, Emerson. Wenn du dich noch erinnerst, habe ich dich ja gleich am Anfang darauf hingewiesen, daß Gertrude etwas vor uns geheimhält. Möglicherweise ist sie nicht nur eine Abenteurerin, sondern außerdem eine Spionin und Verbrecherin! Die wenigen Sätze ihres Gesprächs, die ich mit anhören konnte, führen unweigerlich zu der Vermutung, daß Sie ihn zu ihrem Komplizen machen will!«
»Für mich führt das eher zu der Vermutung, daß es sich um eines der schwachsinnigen Wortspielchen zwischen Männern und Frauen handelt, wenn sie eine … äh … romantische Beziehung eingehen.«
»Vielleicht«, räumte ich großzügig ein. »Aber es ist unsere Pflicht, der Wahrheit auf den Grund zu kommen und den armen Sir Edward zu warnen, falls er wirklich hereingelegt worden ist.«
»Das würde er wahrscheinlich gar nicht zu schätzen wissen«, murmelte Emerson. »Ach, verdammt, ich weiß nicht, warum ich meine Zeit damit verschwende, mit dir herumzustreiten, Peabody. Ganz gleich, was ich sage, du tust sowieso immer, was du willst. Meinetwegen überschütte Miss Marmaduke mit Tee und Mitgefühl und verschaff dir Zugang zu ihren innersten Gefühlen. Wenn ich den leisesten Verdacht hätte, daß sie nicht nur ein sentimentales und ziemlich dummes Frauenzimmer ist, das beim Anblick eines Spions oder Verbrechers sofort in Ohnmacht fällt, würde ich versuchen dich daran zu hindern.«
Natürlich irrte er sich. Er hatte die Stimme der Frau nicht gehört – selbstbewußt, leise und verführerisch. Die Stimme einer Frau mit Erfahrung.
Das Ziel unseres Ausflugs am nächsten Tag war das Tal der Könige. Auch Emerson wollte uns begleiten, obwohl er über die verdammten Touristen lästerte und es ihm gar nicht recht war, die Arbeit einen Tag ruhen zu lassen.
»Wenigstens ist der Ramadan fast vorbei«, tröstete ich ihn. »Man kann von den Männern keine Höchstleistungen erwarten, wenn sie den ganzen Tag fasten.«
»Und sich die ganze Nacht die Bäuche vollschlagen«, knurrte Emerson. »Zu allem Überfluß müssen wir danach noch die Abschlußfeierlichkeiten über uns ergehen lassen – drei Tage Völlerei und Amüsements. Religion ist eine verdammte
Weitere Kostenlose Bücher