Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
nichts Merkwürdiges an ihrem Benehmen finden. Nur ihr – meiner Meinung nach übertriebenes – Interesse an Nefret kommt mir ein wenig seltsam vor.«
»Es ist fast, als wüßte sie, daß das Mädchen ganz besonders in Gefahr schwebt«, stimmte ich zu, wobei mir ganz mulmig wurde. »Ja, ich finde es auch übertrieben. Mehr als einmal hat sie geäußert, Nefret wäre unter ihrer Obhut besser aufgehoben.«
»Möglicherweise ist sie auch nur abergläubisch und sieht Gespenster. Zuweilen entwickeln kinderlose Frauen eine starke Anhänglichkeit für ihre hübschen, jungen Schützlinge. Besonders für Mädchen.«
»Ramses gegenüber hat Gertrude ganz sicher keine Anhänglichkeit an den Tag gelegt«, meinte ich lachend und mußte dann gähnen. »Emerson würde jetzt behaupten, daß wir Gespenster sehen, Evelyn. Unsere brillanten Schlußfolgerungen stehen auf tönernen Füßen.«
»Es ist unsere Aufgabe, zusätzliche Beweise zu sammeln«, sagte Evelyn. »Aber du bist müde, Amelia. Glaubst du, du kannst jetzt schlafen?«
»Ja.« Das stimmte zwar nicht, aber sie hatte ebenfalls ein wenig Ruhe nötig. Ich wußte, sie würde die ganze Nacht bei mir sitzenbleiben, wenn sie das Gefühl hatte, daß ich sie brauchte.
Ich begleitete sie zu ihrer Kabinentür, küßte sie und wünschte ihr liebevoll eine gute Nacht. Doch nachdem sich besagte Tür hinter ihr geschlossen hatte, begab ich mich nicht in meine Kabine. Eigentlich hätten mir der regelmäßige Atem und der Umriß der schlanken Gestalt unter der Bettdecke genügen müssen, doch ich ging erst, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß es sich wirklich um Nefret handelte.
Das Gespräch mit Evelyn hatte mir die Ängste, die ich mir bislang nicht eingestehen wollte, nur um so stärker vor Augen geführt. Außer dem Punkt, den sie zur Sprache gebracht hatte – Gertrudes merkwürdige Besorgnis –, gab es noch einen zweiten, weit beunruhigenderen Hinweis darauf, daß Nefret in Gefahr schwebte. Abd el Hameds Erklärungen hatten zwar sinnvoll und glaubhaft geklungen, doch eine unangenehme Tatsache ließ sich nicht abstreiten: Der Eindringling hatte sich ausgerechnet in Nefrets Kabine geschlichen. Er hatte sie gepackt und keine andere.
Lange lag ich wach, und nicht nur die Angst um Emerson hinderte mich am Einschlafen.
Am nächsten Morgen hielten wir uns nicht lange mit dem Frühstück auf. Bei meiner Ankunft am Grab eilte ich sofort die Treppe hinauf, und als ich in den vorderen Raum kam, sah ich Emerson auf dem Boden sitzen. Er hielt den Kopf gesenkt; Abdullah beugte sich über ihn.
»Was ist los?« fragte ich und zwang mich zur Ruhe.
Als Emerson aufblickte, wirkte sein Gesicht auffallend blaß.
»Guten Morgen, Liebling. Hoffentlich hast du gut geschlafen.«
»Bist du krank? Bist du verletzt?«
Er schob meine und Abdullahs Hände weg und erhob sich schwungvoll wie immer. »Mir war nur ein wenig schwummerig. Ich habe gerade den Sargdeckel über der Mumie geschlossen, und der Gestank war ziemlich penetrant.«
»Mußte das sein?« wollte ich wissen.
»Wahrscheinlich hätte ich besser auf dich warten sollen«, antwortete Emerson spöttisch. Die anderen kamen herein, und er winkte ihnen geistesabwesend zur Begrüßung zu, ehe er fortfuhr: »Gut, Abdullah, schaffen wir das grausige Ding hier raus. Schick Daoud oder Ali hinauf, damit sie mir helfen. Ich könnte den Sarg auch selbst tragen, aber ich möchte nicht, daß er kippt.«
Abdullah verschränkte die Arme und rührte sich nicht. »Ich werde dir helfen, Emerson.«
Emerson strich sich übers Kinn und betrachtete seinen Vorarbeiter nachdenklich. Dann versetzte er dem alten Mann lächelnd einen Klaps auf die Schulter. »Wirklich? Dann also du und ich, Abdullah, wie in alten Zeiten. Peabody, kannst du hinuntergehen und die Einheimischen verscheuchen? Wenn sie nur einen Blick auf den Sarg erhaschen, wird es sich wie ein Lauffeuer herumsprechen. Ihr anderen, verschwindet. Ihr steht im Weg.«
»Einen Moment noch«, sagte ich. »Schütze wenigstens deine Atemwege. Das hättest du schon vorhin tun sollen. Wo ist dein Taschentuch, Emerson?«
Das war eine dumme Frage, denn er hat grundsätzlich keines bei sich. Während er noch in seinen Taschen grub, zog Walter seines hervor, und Emerson band es sich über den Mund.
Abdullah wickelte seinen Schal um die untere Gesichtshälfte, dann stiegen die beiden die Treppe hinab. Sie mußten sich bücken, denn sie waren beide ziemlich groß, und die Decke war sehr niedrig.
Mit
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