Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Hilfe meines kampferprobten Sonnenschirms vertrieb ich, wie befohlen, die Einheimischen. Ich mußte sie eine gehörige Strecke vor mir hertreiben, und als ich zurückkam, erblickte ich Emerson oben auf der Treppe. Er trug das vordere Ende des Sargs auf den Schultern. Abdullah hielt ihn in der Waagerechten, indem er das andere Ende mit den Händen stützte.
Unten angekommen, steuerten die beiden rasch auf die Stelle zu, die Emerson offenbar schon zuvor ausgesucht hatte. Es war kaum mehr als ein Loch, der Eingang zu einem Grab und fast völlig mit Geröll zugeschüttet, so daß gerade Platz genug für den Sarg bestand.
Die zusehenden Männer machten hastig den Weg frei. Nefret, die neben mir stand, sagte leise: »Hat der Professor das gemeint, Tante Amelia, als er ›Wirklich?‹ sagte? Und warum hat Abdullah darauf bestanden, ihm zu helfen?«
»Teilweise wohl aus Stolz, Nefret. Er will nicht zugeben, daß er alt wird. Aber ich fürchte, du hast recht. Einige der Männer hätten sich vielleicht geweigert oder sich sogar gesträubt, den Sarg zu berühren. Hoffentlich bekommen wir nicht wieder Ärger mit einem Fluch. Es ist so lästig.«
»In diesem Fall hätte Radcliffe wenigstens Gelegenheit, eine seiner berühmten Geisteraustreibungen zu veranstalten«, meinte Walter. Die Nachtruhe hatte ihm gutgetan, und ein Schmunzeln spielte um seine Lippen. »Wenn die Damen mich jetzt entschuldigen wollen. Ich werde den beiden beim Zuschütten des Loches zur Hand gehen. Besser, wir tun es selbst, als zu riskieren, daß die Männer in den Streik treten.«
Ramses war schon zur Stelle und half seinem Vater und Abdullah, den Sarg mit Sand zu bedecken. Nach einer Weile schlenderte Selim betont lässig herbei, wobei er die anderen Männer mit einem verächtlichen Grinsen bedachte. Diese konnten das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und als endlich alle bei der Arbeit waren, kehrten Emerson und Walter zu uns zurück. Offenbar hatten sie gestritten, denn Walters Gesicht war gerötet, und ich hörte ihn sagen: »Das werde ich unter gar keinen Umständen zulassen, Radcliffe.«
»Zulassen?« wiederholte Emerson. »Ich weiß nicht, wie du deine Frau all die Jahre unter der Fuchtel gehalten hast, Walter – mir ist das noch nie geglückt –, aber ich fürchte, deine Tage als Haustyrann sind gezählt. Machen wir doch einfach die Probe aufs Exempel. Ich sage ihr, was ich von ihr will, und du verbietest es ihr. Dann werden wir ja sehen, was geschieht.«
»Worüber streiten die Herren denn?« fragte ich.
»Ich brauche eine detailgetreue Zeichnung des Raumes, bevor wir die zugemauerte Tür aufbrechen«, lautete die Antwort, mit der ich schon gerechnet hatte. »Selbst mit Reflektoren dürfte das Licht für eine Photographie nicht ausreichen, und … wo zum Teufel steckt Sir Edward? Er sollte inzwischen hier sein.«
»Hör zu, Radcliffe«, fing Walter an.
»Walter, verflixt und zugenäht, geh mir nicht ständig auf die Nerven! Schließlich«, fügte Emerson gekränkt hinzu, »war ich so rücksichtsvoll, sie nicht um die Zeichnung zu bitten, solange das widerwärtige Ding noch an Ort und Stelle lag – obwohl das die richtige Vorgehensweise gewesen wäre.«
Er marschierte davon, ohne Walter Zeit für eine Antwort zu geben. Ich tätschelte meinem Schwager den Arm. »Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Hmpf«, brummte Walter, wobei er sehr ähnlich wie sein Bruder klang.
Natürlich stimmte Evelyn Emersons Vorschlag sofort zu; anscheinend freute sie sich wirklich, daß er sie darum gebeten hatte. Sie hatte bei David gesessen und ihm bei der Arbeit an seiner Skulptur zugesehen. Ich blieb lange genug, um ihn zu loben, denn sie war äußerst gut gelungen. Er antwortete nicht, sondern bedachte mich nur mit einem langen Blick, den ich beim Weggehen noch auf mir spürte.
Als ich die Treppe hinaufstieg, waren die anderen schon bei der Arbeit. Durch das Hinausschaffen des Sarges waren einige Gegenstände zum Vorschein gekommen, die sich in wirrem Durcheinander dahinter auf dem Boden befanden. Evelyn hielt ihre Lage in einer groben Skizze fest, während Nefret die Ziffern und Beschreibungen notierte, die Emerson ihr diktierte.
»Speiseopfer«, erklärte Ramses, ehe ich ihn fragen konnte. »Krüge mit Öl und Wein, die meisten zerbrochen, und ein mumifiziertes Stück Fleisch.«
»Für unsere Mumie?«
»Der hätten sie nicht viel genutzt«, antwortete Emerson, ohne aufzublicken. »Viereinhalb Zentimeter, Nefret. Ein
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