Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Wie gut verstand ich sein Bedürfnis, irgend etwas zu tun auch wenn es noch so vergebens war! Er öffnete sogar die Schachtel mit der eindeutigen Aufschrift »PRIVAT! BITTE NICHT HINEINSEHEN!« Ich selbst hatte noch nie einen Blick in diese Schachtel geworfen, nicht nur, weil auch Kinder meiner Ansicht nach ein Recht auf Privatsphäre haben, sondern überdies, da sie vermutlich Widerwärtigkeiten wie getrocknete Knochen und Mumienteilchen enthielt.
Als Emerson sich wieder aufrichtete, hielt er einen Gegenstand in der Hand und drehte ihn erstaunt hin und her.
Der kleine Alabasterkopf war fertig, oder wenigstens annähernd. Emerson betrachtete erst Nefret und dann die Skulptur. »David?« fragte er.
»Ja. Er hat gesagt, daß er sie für mich macht.« Ehrfürchtig strich ich mit dem Finger über die abgerundeten Wangenknochen. »Ist sie nicht wunderschön?«
Emerson blickte noch einmal Nefret an. »Unheimlich wäre das treffendere Wort. Sie ähnelt gleichzeitig Nefret und Tetischeri. Was hat er wohl gesehen und gefühlt, um so etwas anzufertigen?«
»Was stört dich daran?« fragte ich überrascht. »Es ist eine sehr gute Arbeit, der Junge hat Talent.«
»Es stört mich nicht im geringsten«, entgegnete Emerson barsch – doch er legte das Porträt hastig in die Schachtel zurück und schloß sie. »Zugegeben, der Junge ist begabt. Aber das beweist noch lange nicht seine Unschuld.«
»Ich habe Mahmud gebeten, Kaffee zu machen«, sagte ich. »Also schlage ich jetzt vor, daß wir uns anziehen …«
Nefret, die ruhelos im Raum auf und ab gegangen war, wirbelte herum. »Kaffee? Warum trödeln wir hier herum? Wir müssen ihn suchen!«
»Wo?« fragte ich. »Beruhige dich, Nefret. Durch überstürztes Handeln können wir nichts gewinnen, aber eine Menge verlieren.«
»Ganz richtig«, stimmte Emerson zu. »Schließlich kannst du nicht im Nachthemd nach Gurneh laufen, Nefret. Tante Amelia würde dir das nie gestatten.«
Obwohl ich mich nie lange mit meiner Morgentoilette aufhalte, habe ich mich wahrscheinlich noch nie so schnell angekleidet wie an jenem Tag. Emerson brauchte nur rasch ein Hemd und Stiefel anzuziehen, da er die Hose bereits trug. Er und Nefret befanden sich schon an Deck, als ich hinaufstieg.
Kaum jemals habe ich meinen lieben Emerson so bewundert wie beim Anblick der rührenden Szene, die sich mir darbot: Mit flehend erhobenem Gesicht kniete Nefret zu seinen Füßen und umklammerte seine Hände. Er hatte die Angst um seinen Sohn, die in ihm tobte, niedergekämpft, um seine Tochter zu trösten. In seiner ruhigen Stimme schwang sogar ein leicht amüsierter Ton mit, und um seine Lippen spielte ein beruhigendes Lächeln.
»Mein Kind, so etwas ist bei Ramses nicht weiter außergewöhnlich. Wahrscheinlich hat er sich wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht. Wir werden ihn da schon herausholen.«
»Und du wirst mich nicht daran hindern zu helfen?«
»Ich brauche dich.«
Vor lauter Aufregung bemerkte Nefret mich erst, als Emerson in meine Richtung blickte. Sie stand auf und lächelte verlegen. »Entschuldige, Tante Amelia, wenn ich unhöflich zu dir gewesen bin. Ich mache mir gar keine Sorgen um Ramses Ich bin nur wütend auf ihn, weil er sich so rücksichtslos verhält.«
»Ja, Nefret, ich weiß. Versuch, etwas zu essen.«
Als die anderen sich zu uns gesellten, bemerkte ich, daß Evelyn ihren schwarzen Sonnenschirm bei sich hatte und Walter puterrot im Gesicht war. Sie hatten sich wieder gestritten und der Grund war ziemlich offensichtlich. Allerdings spielte Walters erste Bemerkung mit keinem Wort darauf an.
»Alles weist darauf hin, daß Ramses zu einem seiner geheimnisvollen Erkundungsgänge aufgebrochen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand ihn – selbst mit Davids Hilfe – entführen konnte, ohne daß Ibrahim etwas gesehen oder gehört hätte.«
»Nicht zu vergessen Bastet«, fügte ich hinzu, während ich mit ruhiger Hand den Kaffee einschenkte. »Sie hätte nicht schweigend zugesehen, wie jemand Ramses auf den Kopf schlägt.«
»Bestimmt ist sie mit ihm gegangen«, meinte Nefret. »Normalerweise kommt sie in meine Kabine, wenn Ramses eingeschlafen ist. Heute morgen lag sie nicht auf meinem Bett.«
»Hast du in Ramses’ Kabine nach ihr gesucht?« wollte ich wissen. Ich hatte sie noch nicht gefragt, wie sie Ramses’ Abwesenheit überhaupt bemerkt hatte.
»Nein. Etwas hat mich geweckt. Ein Geräusch, eine Stimme, ein Traum …« Zögernd betrachtete sie ihre ineinander
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