Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Als ich sie an der Tür einholte, sah sie mich so überrascht an, daß ich mir ein wenig albern vorkam. »Ich dachte, du hättest heute morgen dein Nachthemd in meiner Kabine vergessen«, war die einzige Ausrede, die mir in diesem Moment einfiel.
»Nein, Tante Amelia, ich habe mich in meiner Kabine umgezogen. Weißt du das nicht mehr?«
»Ja, natürlich.«
Während sie die Kerze auf den Tisch stellte, unterzog ich den Raum einer raschen, aber gründlichen Musterung. Alles stand an seinem angestammten Platz, und es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken – nur der Vorhang war vor die Ecke gezogen, wo sich der Waschtisch befand. Ich warf beiläufig einen Blick dahinter.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« Sie stand neben dem Bett und sah mich an.
»Nein. Es macht dir doch nichts aus, allein zu sein? Wenn du lieber möchtest, daß ich hier schlafe …«
»Das ist ein sehr großzügiges Angebot, Tante Amelia.« Sie klang sehr freundlich und gemessen. »Aber ein solches Opfer ist überflüssig. Ich fühle mich ausgezeichnet. Gute Nacht. Schlaf gut.«
Ziemlich verwirrt zog ich mich zurück. Hatten einige ihrer Sätze eine verborgene Bedeutung enthalten? Ich befürchtete es.
Nach etwa einer Stunde konnte ich Emerson überreden, mit der Arbeit aufzuhören. Natürlich erwähnte ich die düstere Vorahnung nicht, die mich bewogen hatte, Nefrets Kabine zu durchsuchen. Aber ich fragte ihn, ob einer der Männer heute nacht Posten stehen würde.
»Glaubst du etwa, ich würde auf diese Vorsichtsmaßnahme verzichten?« gab Emerson zurück. »Ibrahim wird alle zehn Minuten einen Rundgang machen und auf das leiseste Geräusch achten. Ich halte es allerdings für unnötig. Das Grab ist so gut bewacht wie möglich, und Riccetti wird nicht so verwegen sein, seine alten Spielchen mit mir zu treiben. Doch, wie du immer so schön sagst, ist es besser, auf Nummer Sicher zu gehen, Peabody.«
»So etwas Abgedroschenes würde ich nie sagen, Liebling. Vielen Dank, daß du mich beruhigt hast.«
»Habe ich das? Dann wollen wir unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden.«
In jener Nacht schlief ich tief und fest. Emerson lag wieder wohlbehalten neben mir, das Grab wurde gut bewacht, und unsere treuen Männer hielten draußen nach Feinden Ausschau – dieses Wissen und verschiedene weitere Faktoren waren vermutlich schuld daran, daß mein sechster Sinn versagte, der mich sonst immer vor Gefahr warnt. Der Morgen graute, und die Kabine lag noch im Dämmerlicht, als ich grob aus dem Schlaf gerissen wurde, weil jemand die Tür aufriß. Selbst Emerson, der morgens normalerweise nur langsam zu Bewußtsein kommt, fuhr erschrocken hoch.
Nefret stand auf der Schwelle.
»Ramses ist fort!« rief sie. »Sie sind beide fort – und auch die Katze Bastet!«
13. Kapitel
HUMOR EIGNET SICH HERVORRAGEND ZUR EINDÄMMUNG ÜBERFLÜSSIGER GEFÜHLSAUSBRÜCHE.
Nachdem Emerson den armen Ibrahim mit heftigen Vorhaltungen überhäuft hatte (danach entschuldigte er sich, denn die Schuldzuweisung war zu diesem Zeitpunkt verfrüht), forderte ich die anderen eindringlich auf, sich zu beruhigen und die Angelegenheit sachlich zu überdenken. Emersons Gebrüll hatte Walter und Evelyn geweckt, und wir versammelten uns in Ramses’ Kabine.
»Er muß freiwillig mitgegangen sein«, sagte ich. »Es gibt keine Anzeichen eines Kampfes.«
»Woher weißt du das?« fragte Emerson.
»Es ist ein wenig schwierig«, gab ich zu. »Sein Zimmer sieht eigentlich immer aus wie nach einer heftigen Auseinandersetzung. Aber es ist nichts umgeworfen worden oder zerbrochen. Die Entführer hätten es nie geschafft, beide Jungen zu verschleppen, ohne auch nur ein Möbelstück umzustürzen.«
Emersons anfängliche Wut war dem eiskalten Zorn gewichen, der ihn so gefährlich macht. » Einen der beiden Jungen hätten sie durchaus verschleppen können«, wandte er kühl ein. »Mit ein wenig Chloroform – und der Beihilfe des anderen Jungen.«
»Nein, Emerson!« rief Evelyn aus. »David würde seine Freunde nie verraten!«
»Das wird sich noch herausstellen«, entgegnete Emerson ebenso ruhig wie zuvor. »Wenn Ramses freiwillig mitgegangen ist, wäre er inzwischen wieder zurück. Er hätte eine Nachricht hinterlassen, falls er vorgehabt hätte, so lange wegzubleiben, daß wir seine Abwesenheit bemerken. Bist du sicher, daß du keine solche Nachricht übersehen hast?«
Ich hinderte ihn nicht daran, noch einmal an denselben Stellen zu suchen, die ich bereits unter die Lupe genommen hätte.
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