Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Ritt wurde kaum ein Wort gesprochen, und wir zogen uns sofort in unsere Kabinen zurück.
Ich wartete auf Emerson. Es war dunkel geworden, und es kam mir vor, als hätte ich stundenlang am Fenster gestanden, als er endlich erschien.
»Also hast du mich vermißt?« fragte er einige Zeit später.
»Ich glaube, das habe ich dir ausreichend unter Beweis gestellt.«
»Ausreichend würde ich das nicht nennen. Aber für den Moment muß es genügen. Ist das Essen schon fertig? Ich verhungere.«
»Ach, du meine Güte«, sagte ich ein wenig verlegen. »Ich fürchte, es steht auf dem Tisch und wird kalt. Ich habe Mahmud angewiesen, sofort zu servieren, wenn du zurückkommst.«
»Das hättest du eigentlich besser wissen müssen, Peabody.«
»Du hast recht, das hätte ich. Zieh dich rasch an, Liebling.«
Wie sich herausstellte, hatte Evelyn das Essen zum Aufwärmen zurück in die Küche geschickt. Ich wartete, bis Emerson den ersten Hunger gestillt hatte, ehe ich ihm Monsieur Masperos Telegramm zeigte.
»Er ist also unterwegs?« war Emersons Reaktion. »Verflixt und zugenäht.«
»Er schreibt sehr höflich«, meinte Walter, der das Telegramm aufhob, das Emerson zu Boden geschleudert hatte. » Felicitations , hommages , cher collègue , und so weiter und so fort!«
»Sonst noch Post?« fragte Emerson und ging nicht weiter auf Monsieur Maspero und seine Komplimente ein.
»Mrs. Watsons täglicher Bericht an Evelyn«, antwortete ich. »Sie schreibt, alle sind wohlauf. Nichts von Bedeutung.«
Mit einer Nachricht von Kevin rechnete ich erst später in dieser Nacht. Er war mit einem Buch voller Notizen losgezogen, und ich nahm an, daß er mit seinem Artikel beschäftigt war. Ich hoffte nur, daß er daran denken würde, die Hotels abzuklappern, wie ich ihn gebeten hatte. Wenn er sich richtig ins Schreiben hineinsteigerte, neigte er dazu, alles andere zu vergessen.
Inzwischen aßen wir unsere Mahlzeiten an Deck, da Emerson den Salon als Arbeitszimmer und Lager beschlagnahmt hatte. Nicht einmal die sanfte Brise und der Mond konnten ihn in Versuchung führen, länger zu bleiben. Er leerte seine Kaffeetasse und sagte: »Nefret, ich habe noch einige Seiten Aufzeichnungen, die abgeschrieben werden müssen.«
»Ich werde deine Notizen übertragen, Emerson«, schlug Evelyn vor. »Laß das Kind zu Bett gehen; es ist völlig erschöpft.«
Anscheinend hatte sie geübt, denn sie brachte den Namen ohne zu stocken heraus. Walter warf ihr einen erstaunten Blick zu, und Emerson meinte: »Oh, nun … äh … Ganz recht. Ins Bett mit dir, Nefret, mein Kind. Du hast heute sehr fleißig gearbeitet. Du auch, Ramses.«
Ramses hatte Bastet mit Essensresten gefüttert. Eigentlich rechnete ich mit seinem Widerspruch, doch statt dessen stand er gehorsam auf. »Ja, Vater. Gute Nacht zusammen. Komm, David. Komm, Bastet.«
Sie verließen in einer würdigen Prozession den Raum; die Katze bildete den Schluß. »Er sollte mit David wirklich nicht so sprechen wie mit der Katze«, sagte Evelyn.
»Ich glaube, es ist eher umgekehrt«, antwortete ich. »Er sollte mit der Katze nicht so sprechen, als wäre sie ein Mensch. Wo steckt den Anubis? Ich habe ihn heute abend noch gar nicht gesehen.«
»Ich habe ihm befohlen, bei den Männern zu bleiben«, erwiderte Emerson. Er kicherte. »Oder vielmehr habe ich ihn darum gebeten. Er eignet sich als Wache ebensogut wie du mit deinem Sonnenschirm, Peabody. Die Einheimischen haben eine Heidenangst vor ihm.«
»Abdullah auch. Ich bin überrascht, daß er keinen Einspruch erhoben hat.«
»Abdullah hat seine Meinung geändert.« Emerson holte seine Pfeife heraus. »Er hält Anubis zwar immer noch für einen Afreet in Katzengestalt, doch er ist zu dem sehr vernünftigen Schluß gekommen, daß es besser ist, einen Dämon zum Freund als zum Feind zu haben. Nefret, mein Kind, warum bist du denn noch hier? Möchtest du mich etwas fragen?«
»Nein, Professor. Ich bin nur noch nicht müde und habe keine Lust, schlafen zu gehen.«
Eine solche Äußerung hätte Ramses vermutlich eine strenge Rüge eingebracht, aber Emerson lächelte nur nachsichtig, Ein hübsches Gesicht und goldene Locken bringen einem Menschen zweifellos so manchen ungerechten Vorteil ein.
»Morgen wird wieder ein langer Tag, mein Kind. Gib mir einen Kuß, und dann ab mit dir.«
Vergeblich schmollend, verteilte Nefret die Gutenachtküsse und ging dann mit schleppenden Schritten in Richtung Treppe. Ich weiß nicht, was mich veranlaßte, ihr zu folgen.
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