Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Herren. Mein Artikel und die meiner Kollegen werden zur Folge haben, daß jeder britische Bürger nach Gerechtigkeit ruft.«
»Hmpf.« Emerson strich sich übers Kinn. »Wollen Sie damit etwa sagen, ich werde möglicherweise zugeben müssen, daß die vermaledeite Presse doch zu etwas nütze ist?«
»Gott behüte, Sir!« rief Kevin.
»Vielleicht haben Sie recht«, räumte Emerson ein. »Trotzdem hoffe ich, daß wir Riccetti nicht zum letztenmal gesehen habe. Ich würde ihn mir zu gern einmal vorknöpfen. Hören Sie, O’Connell, ich möchte, daß kein Wort von Nefrets Verschwinden nach außen dringt.«
»Jawohl, Sir.« Kevins Miene wurde ernst. »Ich werde schweigen wie ein Grab, bis die junge Dame wohlbehalten wieder zu Hause ist. Haben Sie eine Vermutung, wer ihre Entführung in die Wege geleitet haben könnte?«
»Wir wissen, wie sie weggelockt wurde«, antwortete ich. »Und von wem. Doch dieses Wissen nützt uns nichts, denn auch Miss Marmaduke hat sich in Luft aufgelöst. Zunächst habe ich geglaubt, daß sie zur Bande von Abd el Hamed gehört, aber in letzter Zeit bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich habe ihn, oder einen Mann, der ihm stark ähnelte, vor einigen Tagen in der Nähe von Riccettis Haus gesehen. Ganz sicher hat Abd el Hamed irgend etwas mit der Sache zu tun. Schon zweimal hat er seine Leute mit Mordabsichten auf unser Boot geschickt. Das würde er nie wagen, wenn für ihn oder für den Menschen, in dessen Diensten er ist, nicht wichtige Dinge auf dem Spiel stünden.«
Alle Augen blickten auf David, der reglos und mit gesenktem Blick dasaß. Das Schweigen wurde unerträglich.
»Wir sind Brüder«, sagte Ramses schließlich. »Wenn er etwas wüßte, würde er es mir erzählen.«
David hob den Kopf. Doch er sah weder Ramses noch Evelyn an, die sein Haar streichelte; auch nicht Walter, der ihm gerade das Leben gerettet hatte, oder seinen Großvater – oder mich. Sein Blick traf sich mit Emersons.
»Ich habe nachgedacht, bis mir der Kopf brummte«, flüsterte er. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich wußte. Ja, ich habe Abd el Hamed nachspioniert. Ich habe ihn gehaßt! Nachts, wenn ich vor Hunger und Schmerzen nicht schlafen konnte, schlich ich mich hinaus und lauschte. Ich habe gehofft, etwas zu erfahren, womit ich ihm schaden könnte. Viele Menschen haben ihn im Schutze der Nacht aufgesucht – die Diebe mit ihren gestohlenen Grabbeigaben, die Händler aus Luxor, die Engländer, die Antiquitäten kaufen wollten. Aber kein fremder Mann. Kein Mann, der …«
»Moment mal«, unterbrach Emerson ihn barsch. »Kein Mann, sagst du? Kein dir unbekanntes menschliches Wesen?« Er benutzte das Pluralwort nas , das »Leute« bedeutet.
Auf einmal ging mir ein Licht auf. »Mein Gott!« rief ich aus.
David riß die Augen auf. »Sie haben ›Mann‹ gesagt.« Er benutzte das englische Wort. »Ich dachte …«
»Es ist nicht deine Schuld«, meinte Emerson. »War es also eine Frau? Eine fremde Frau?«
»Zu Abd el Hamed kamen keine Frauen. Er ging zu ihnen. Doch … eines Nachts, es ist noch nicht lange her …«
»Wie sah sie aus?« Emersons Tonfall war freundlich und ermutigend; er gab sich Mühe, mich nicht anzusehen.
»Sie trug ein schwarzes Gewand und einen Schleier, aber sie war keine Ägypterin. Nein! Ich weiß nicht, woran ich das erkannt habe. Sie sprachen sehr leise und standen in einiger Entfernung. Einzelne Wörter habe ich nicht verstehen können. Jedenfalls sprachen sie nicht Arabisch, die Hebung und Senkung der Silben war anders. Und sie hatte einen Gang wie ein Mann.« Inzwischen keuchte er vor Aufregung. »Hilft Ihnen das weiter? Kennen Sie sie? Ist sie es?«
»Es hilft mir weiter«, antwortete Emerson. »Möglicherweise ist das der Hinweis, den wir brauchen. Ich danke dir, mein Sohn.«
»Ich hätte gleich wissen müssen, daß eine Frau in die Sache verwickelt ist«, stellte ich einige Zeit später fest, nachdem wir uns erschöpft zurückgezogen hatten.
»Das«, erwiderte Emerson und warf sein Hemd auf den Boden, »war eindeutig eine überflüssige Bemerkung, Peabody. Schließlich habe ich aus Höflichkeitsgründen verzichtet, dich darauf hinzuweisen, daß vor allem du hättest erkennen sollen …«
»Ja, und ich weiß deine Rücksichtnahme zu schätzen. Trotzdem kannst du nicht abstreiten, daß bei dir immer eine Frau im Spiel ist. Das ist jetzt schon das dritte Mal nacheinander – oder ist es das vierte? Offenbar schaffe ich es nicht …«
Emerson, der am Waschbecken
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