Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
antwortete ich liebevoll. »Aber bist du denn gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß Miss Marmaduke dich in eine Falle locken könnte?«
»Selbstverständlich«, entgegnete Nefret mit weit aufgerissenen Augen. »Warum hätte ich sonst mit ihr mitfahren sollen?«
Angesichts von Gertrudes Verhalten waren ihr zuerst Zweifel an ihrem Verdacht gekommen. Denn diese hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, daß Nefret uns eine Nachricht hinterließ, und war mit ihr ins Hotel gefahren, ohne sich zu vergewissern, ob ihnen niemand folgte. Allerdings hatte sie auf keine von Nefrets Fragen geantwortet und behauptet, sie sei nur die Dienerin eines großen Meisters, der ihr alles erklären würde.
Aus Nefrets Beschreibung erkannte ich das Zimmer, in das Gertrude sie brachte, denn in eben diesem Raum hatte ich sie aufgesucht. Anscheinend hatte sie es nicht aufgegeben, als sie ins Schloß umgezogen war. Nefret war sofort der Balkon und der – praktischerweise – dort wachsende wilde Wein ins Auge gesprungen. Sie trug ihr Messer bei sich und war davon überzeugt, entfliehen zu können, falls es gefährlich werden sollte.
»Sie benahm sich ziemlich seltsam«, sprach Nefret weiter. »Ständig redete sie wirres Zeug über Göttinnen und den Weg ; doch am merkwürdigsten war ihr Verhalten mir gegenüber – fast ehrfürchtig. Allmählich vermutete ich, daß sie gar keine Spionin war, sondern nur die Anhängerin eines verrückten Kultes. Dann bestellte sie Tee aufs Zimmer …«
Schon beim ersten Schluck war Nefret aufgefallen, daß mit dem Tee etwas nicht stimmte, doch sie entschied sich, ohne zu zögern, ihn zu trinken.
Emerson konnte nicht länger an sich halten. »Guter Gott, mein Kind! Warum hast du das getan?«
»Warum nicht? Ich hatte noch nichts erfahren, was mir geholfen hätte, Ramses zu finden oder Miss Marmadukes geheimnisvollen Meister zu enttarnen. Solange sie mich nicht für hilflos hielten, würden sie dafür sorgen, daß ich weiterhin im dunkeln tappte. Als Miss Marmaduke einen Moment hinausging, gab ich den Tee wieder von mir. Sie war sehr nervös«, schloß Nefret nachdenklich. »Und ich habe beobachtet, daß Menschen, wenn sie nervös sind, oft aufs …«
»Sehr richtig«, unterbrach ich. »Wo hast du …«
»Übers Balkongeländer. Als sie zurückkam, klagte ich, mir sei schwindelig. Sie half mir aufs Bett, und ich tat so, als würde ich einschlafen.«
Anscheinend war es ihr nicht gelungen, das ganze Medikament zu erbrechen, denn an den Rest erinnerte sie sich nur noch verschwommen. Mit Hilfe einer anderen Frau hatte ihr Miss Marmaduke die Straßenkleider ausgezogen – und ihr das Messer weggenommen. Das Aussehen der anderen Frau konnte Nefret nicht beschreiben; sie wußte nur noch, daß diese vierschrötig und kräftig gewesen war. Nachdem die beiden Frauen sie in ein langes Gewand mit Kapuze gehüllt hatten, legten sie sie in einen großen Schrankkoffer, polsterten ihn sorgfältig mit Kissen und Decken und schlossen dann den Deckel. Immer wieder verlor Nefret das Bewußtsein, doch sie spürte, daß der Koffer aufgehoben, getragen und schließlich abgestellt wurde. Danach folgte ein sanftes Schaukeln, aus dem Nefret schloß, daß sie sich auf einem Boot befand – offenbar kehrten sie zum Westufer zurück.
Endlich hielt das Boot an, der Kofferdeckel wurde geöffnet, und Nefret sah die Sterne am dunklen Himmel scheinen.
Jemand beugte sich über sie. Es war nicht Miss Marmaduke, denn Nefret hörte deren vor Angst schrille Stimme fragen:
»Wie geht es ihr?«
»Alles in Ordnung.« Auch die zweite Stimme, die tiefer und härter war, gehörte einer Frau. »Sie wird noch eine Stunde schlafen.«
Nefret nahm diesen Hinweis zur Kenntnis und ließ sich schlaff und reglos aus dem Koffer auf eine Trage heben.
Ärgerlicherweise deckte die Frau sie dann bis übers Gesicht mit einem Mantel zu, so daß sie nicht sehen konnte, wohin man sie im Laufschritt brachte. Doch Ohren und Nase sagten ihr, daß sie die Felder verließen, denn der feuchte Pflanzenduft wurde von trockener Wüstenluft und schließlich vom Geruch menschlicher Behausungen abgelöst; auch den Geräuschen entnahm Nefret, daß sie sich nun in einer Wohnsiedlung befanden. Jemand hob sie von der Trage, brachte sie eine Treppe hinauf und legte sie auf eine harte Fläche. Darauf folgte arabisches Geflüster. Die Tür schloß sich, und der Mantel wurde weggenommen. Nefret wagte nicht, die Augen zu öffnen, doch sie erkannte die Hände, die ihr das Haar
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