Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
schlaflos da und dachte über die Verwandlung von Miss Marmaduke – oder Gertrude, wie sie von mir genannt werden wollte – nach.
Daß sie nun soviel besser aussah und sich aufgeschlossener gab, konnte nur einen Grund haben: Emersons stattliche Gestalt und seine freundliche Art (weiblichen Wesen gegenüber) führte häufig dazu, daß Frauen sich (hoffnungslos) in ihn verliebten. Es wäre nicht das erstemal gewesen.
Wenn ich genauer darüber nachdachte, passierte es fast jedes Jahr! Die junge Journalistin, die tragische ägyptische Schönheit, die ihr Leben für ihn geopfert hatte, die verrückte Hohepriesterin, die deutsche Baronin – und in jüngster Zeit eine mysteriöse Frau namens Bertha, die, laut Emerson, so todbringend und verschlagen wie eine Schlange war. Er leugnete standhaft, daß sie in ihn verliebt gewesen sei, doch derartige Dinge bestritt er immer.
Allmählich wurde es langweilig. Ich hoffte, daß nicht auch Miss Marmaduke Emersons Charme zum Opfer fallen würde. Möglicherweise führte sie sogar etwas im Schilde. Hatte nicht mein wohlbekanntes Zweites Gesicht sie mich als großen, schwarzen Vogel sehen lassen? Inzwischen fand ich allerdings nicht mehr, daß sie einer Krähe ähnelte – eher einem riesigen, unheilverkündenden Raubvogel.
Die Geier fingen an zu kreisen.
Wenn ein Eroberer weiterzieht, erheben seine Untergebenen Anspruch auf die Überreste der Beute. Ein Beispiel dafür sind die Ereignisse nach dem Tod von Alexander dem Großen, dessen Generäle das führerlose Reich unter sich in Königtümer aufteilten. Vielleicht war es ein wenig übertrieben, Alexander mit Sethos, unserem großen und grausamen Gegenspieler, zu vergleichen, aber die beiden hatten viel gemeinsam: Skrupellosigkeit, Intelligenz, und vor allem eine schwer in Worte zu fassende, aber unentbehrliche Eigenschaft, die man Charisma nennt. Wie Alexanders Reich hing auch Sethos’ Herrschaft über den illegalen Antiquitätenhandel in Ägypten allein von seinen persönlichen Fähigkeiten ab. Und wie Alexanders Reich war nun auch das seine führerlos geworden – die Aasfresser lauerten schon.
Bestimmt gehörte Riccetti zu ihnen. Daß er sich vor mehr als einem Jahrzehnt zur Ruhe gesetzt hatte, war vielleicht keine freiwillige Entscheidung gewesen. Nein, ganz sicher nicht freiwillig, dachte ich; er war von Sethos aus dem Geschäft gedrängt worden, der nun seinerseits von der Bildfläche verschwunden war. War »Miss Marmaduke« seine Handlangerin oder seine Konkurrentin?
Wie viele Menschen waren hinter unserem Grab her? Und welche würden »uns helfen, wenn sie könnten«? Diese Worte Riccettis schienen darauf hinzuweisen, daß er sich der zweiten Kategorie zurechnete, doch natürlich konnte man sein Versprechen nicht so ohne weiteres für bare Münze nehmen. Ehrlichkeit ist bei Verbrechern keine herausragende Charaktereigenschaft.
Durch Sethos’ Tod war die Gefahr für uns noch lange nicht gebannt. Ganz im Gegenteil – die Anzahl unserer Feinde hatte sich vermehrt. Emersons (und mein) Kreuzzug gegen den illegalen Antiquitätenhandel hatte uns zur Zielscheibe aller skrupellosen Händler gemacht. Und wenn das Grab, nach dem wir suchten, wirklich unbekannt und noch nicht geplündert war, würde jeder Dieb in Ägypten alles daransetzen, um uns zuvorzukommen. Selbstverständlich hatte ich nicht die Absicht, diese interessanten Erkenntnisse mit Emerson zu erörtern. Ganz sicher war er schon zu demselben Schluß gelangt und hatte wie immer beschlossen, nicht auf die Gefahren zu achten. Und wie immer blieb es mir überlassen, an seiner Stelle die nötigen Vorsichtsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Ich mußte ihn und die Kinder beschützen, ständig auf der Hut vor möglichen Widersachern sein und jeden verdächtigen. Nun denn.
Ich fühlte mich dieser Aufgabe gewachsen. Also lehnte ich den Kopf an die Schulter meines ahnungslosen Gatten und fiel rasch in einen angenehmen, traumlosen Schlaf.
Als das Boot am Nachmittag des zehnten Tages eine Flußbiegung umrundete, sahen wir vor uns das prächtige Theben.
Am Ostufer schimmerten die Säulen der Tempel von Luxor und Karnak in den Strahlen der untergehenden Sonne. Im Westen umschloß eine Felswand die leuchtend grünen Felder und die angrenzende Wüste.
Wir hielten auf das Westufer zu, und während die Dahabije anlegte, versammelten wir uns alle an der Reling. Ich hatte Miss Marmaduke zwar eine meiner Hosen angeboten, aber sie paßte nicht hinein. Auf meinen Wunsch hin – wie
Weitere Kostenlose Bücher