Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
schmutzigen Satteldecken durch die sauberen zu ersetzen, die ich mitgebracht hatte. Ramses half mir bei der Behandlung, während Nefret den Tieren die Köpfe hielt und ihnen mitleidig ins Ohr flüsterte. Ich muß zugeben, daß sich die Esel viel besser benahmen, als das sonst bei den Waschungen der Fall war.
Beim Aufbruch nörgelte Emerson immer noch. »Wenn wir jetzt ein Automobil …«, fing er an.
»Sei vernünftig, Emerson«, unterbrach ich ihn. »Wie würdest du ein Automobil nach Luxor schaffen? Es gibt hier keine Straßen.«
Emersons Antwort konnte ich nicht verstehen, denn sein Esel, noch ein wenig verstört von der ungewohnten Sauberkeit, fing an zu galoppieren.
Wie ich vermutet hatte, war das Dorf Gurneh unser Ziel.
Wir hatten bereits Bekanntschaft mit den Bewohnern dieser schmuddeligen Ortschaft gemacht, deren Häuser auf einem Hügel in der Nähe von Deir el Bahri inmitten von alten Gräbern stehen. Früher wohnten die Leute sogar in den Gräbern selbst und wehrten sich – zuweilen gewaltsam – gegen alle Umsiedlungsversuche der Behörden. Ihr Widerstand war begreiflich: Warum sollte man sich die Mühe machen, ein Haus zu bauen, solange einem ein hübsches, kühles Grab zur Verfügung stand? Außerdem fühlt sich ein Mann, wie Emerson einmal bemerkte, in der Nähe seines Arbeitsplatzes am wohlsten. Die Gurnawis waren die geschicktesten Grabräuber Ägyptens.
Ein weiterer blühender Industriezweig in Gurneh war die Herstellung von Fälschungen, die an Touristen und – in einigen berühmten Fällen – auch an leichtgläubige Archäologen als echt verkauft wurden. Unser Verhältnis zu den Gurnawis wurde noch weiterhin dadurch erschwert, daß viele von ihnen mit Abdullah verwandt waren. Auch Abdullah brachte dies in eine peinliche Lage. Da er Emerson (und ich hoffe, auch mir) treu ergeben war, vermieden wir es nach Möglichkeit, seine Neffen und Vettern der Polizei auszuliefern.
Wir ließen unsere Esel am Fuße des Hügels zurück und folgten Emerson den Pfad hinauf, der an Grabeingängen und Lehmhütten vorbeiführte. Offensichtlich hielt Emerson auf ein Anwesen zu, das größer und in besserem Zustand war als die anderen. Da Abdullah ein Stück zurückgeblieben war, nahm ich all meinen verbliebenen Atem zusammen, um eine Frage an Emerson zu richten:
»Möchtest du ein Familienmitglied von Abdullah besuchen, Emerson?«
Emerson blieb stehen und reichte mir die Hand. »Deine Kondition hat anscheinend ein wenig nachgelassen, Peabody. Wie machen sich die Kinder?«
»Die beiden klettern wie die Bergziegen. Sie sind stehengeblieben, um sich … mein Gott, was für finstere Burschen! Vermutlich Bekannte von Ramses. Beantworte meine Frage.«
»Welche Frage? Oh nein.«
Er ging weiter und zerrte mich hinter sich her.
Vor dem Haus befand sich ein von einer Mauer umgebener Hof. Unser Herannahen war beobachtet worden, denn sofort öffnete sich die Tür, und ein Mann erschien, den gekrümmten Körper auf einen dicken Stock und auf die Schulter eines Jungen gestützt. » Marhaba – Willkommen«, krächzte er und hob den Kopf. »Bist du es, Vater der Flüche? Selbst für meine alten, schwachen Augen ist deine königliche Gestalt unverkennbar. Also ist die Frau bei dir gewiß die verehrte Sitt, deine Gattin, obwohl ich ihre Lieblichkeit nur verschwommen …«
»Schon gut«, unterbrach Emerson. » Essalámu áleikum und so weiter und so fort, Abd el Hamed. Dürfen wir hereinkommen?«
»Welche große Ehre für mein Haus«, antwortete Abd el Hamed mißmutig.
Beim Umdrehen stützte er sein gesamtes Gewicht auf die knochige, braune Schulter seines Helfers. Der Junge fuhr zusammen und biß sich auf die Lippen, als sich Hameds Finger wie Klauen in sein Fleisch gruben. Allerdings konnte von Fleisch kaum die Rede sein, denn ich hätte seine Rippen zählen können, da er nichts als eine zerlumpte, knielange Hose trug. Offenbar war er nur ein oder zwei Jahre jünger als Ramses, doch bei diesen unterernährten und mißhandelten Kindern konnte man das Alter nur schwer schätzen. Auf seinen bloßen Schienbeinen entdeckte ich einige Blutergüsse und am großen Zeh seines rechten Fußes eiterte eine Wunde.
Auch Emerson hatte das Zusammenzucken des Jungen bemerkt. Mit einem derben arabischen Fluch schob er den Jungen beiseite, packte den alten Mann und schleppte ihn ins Haus.
Das Zimmer ähnelte denen, die ich aus derartigen Behausungen kannte – ein gestampfter Lehmboden, Wände aus Lehmziegeln, hohe, kleine Fenster.
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