Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
alle ins Haus. Ein kluger Mann schreit sein Wissen nicht in die Welt hinaus.«
Die Besprechung dauerte nicht lang, da Emerson (wie ich bald vermutete) kaum etwas zu sagen hatte. Er spitzte nur die Lippen und gab mit geheimnisvoller Miene vage Andeutungen von sich. Aber die Männer waren sehr beeindruckt. Nachdem Emerson sie gebeten hatte, sich in ein oder zwei Tagen bereit zu halten, brachen wir auf. Als ich draußen stehenblieb, um mir den Schnürsenkel zu binden, hörte ich einen von ihnen ehrfurchtsvoll sagen: »Nur der Vater der Flüche hat ein solches Geheimnis herausfinden können.«
»Nein, es sind die Zauberkräfte von Sitt Hakim«, beharrte Selim.
»Oder die Zauberkräfte ihres Sohnes. Es heißt, daß er mit Afreets und Dämonen spricht …«
Ich sagte Emerson nichts von dieser Unterhaltung. »Was nun?« fragte ich, als ich ihn eingeholt hatte.
»Mittagessen«, antwortete Emerson. »Darf ich Ihnen auf den Esel helfen, Miss Marmaduke?«
Ermutigt von seiner Freundlichkeit, meinte Miss Marmaduke: »Ihr Verhalten von heute morgen finde ich äußerst interessant, aber auch verwirrend, Professor. Möchten Sie mir erklären, warum Sie zu jenem Haus in Luxor geeilt sind und was Sie zu diesem gräßlichen alten Mann gesagt haben?«
Emerson erklärte es ihr. Noch nie habe ich eine derart unglaubhafte Mischung von Lügen und Halbwahrheiten gehört, doch schließlich kannte ich Emerson besser als sie. Nachdem er sich unnötig ausführlich über Grabräuber, das Versteck der Königsmumien in Deir el Bahri und andere Dinge ausgelassen hatte, die mit der Angelegenheit nicht das geringste zu tun hatten, schloß er geschickt: »Vermutlich hat Hamed David den Mörder auf den Hals gehetzt. Der Junge wußte zuviel – und nun hat er mir alles erzählt.«
»Also werden Sie morgen vormittag das Grab öffnen? Wie aufregend! Ich kann es kaum erwarten.« Mit leuchtenden Augen blickte sie zu Emerson empor.
Nefret, die neben mir herritt, zischte etwas. Ich beschloß, nicht darauf zu achten.
Anscheinend hatte Emerson eine mögliche Gefahr vergessen, doch als ich zu meinem Patienten ging, stellte ich fest, daß meine Sorge – leider – überflüssig war. Als wir uns alle beim Mittagessen versammelten, berichtete ich wahrheitsgemäß, David sei zu krank, um befragt zu werden.
»Das habe ich befürchtet. Hier fliegen Unmengen von Keimen in der Luft herum, und sein Fuß eitert schon seit Wochen. Er hat Fieber und ist kaum bei Bewußtsein. Ich beabsichtige, ihn unter Betäubung zu halten und ihn nur zu wecken, um ihm etwas zu trinken einzuflößen.«
Nach dem Essen kehrte ich ans Krankenbett des Jungen zurück, denn ich machte mir tatsächlich Sorgen um ihn.
Kurz darauf kam Emerson herein.
»Gut gemacht. Miss Marmaduke wird ihn nicht belästigen, solange sie denkt … Ach, verdammt! Er ist ja wirklich krank.«
Ich wrang ein Tuch aus und wischte dem Jungen das Gesicht und die magere Brust ab. »Ich glaube, er kommt durch, Emerson. Schließlich habe ich schon aussichtslosere Fälle erfolgreich behandelt.«
»Das weiß ich.« Emerson legte mir eine Hand auf die Schulter. »Obwohl ich schon immer der Ansicht war, daß dies weniger an deinen ärztlichen Fähigkeiten als an deinem Starrsinn liegt. Kein Mensch würde es wagen zu sterben, wenn du ihn pflegst.«
Ich wollte ihm das gerade mit ähnlich zärtlichen Worten vergelten, als Ramses ins Zimmer schlüpfte. »Jetzt können wir reden«, flüsterte er. »Nefret hat Literaturstunde bei Miss Marmaduke.«
»Was für ein kluger Einfall von Nefret«, sagte ich.
»Es war mein Vorschlag«, entgegnete Ramses, »und in einer Weise vorgebracht, daß keine von beiden ablehnen konnte. Vater …«
»Ach, du meine Güte«, seufzte ich. »Jetzt schmiedet sie bestimmt wieder Rachepläne. Ramses, warum kannst du dich nicht besser mit Nefret vertragen. Schwester und Bruder …«
»Sie ist nicht meine Schwester«, unterbrach Ramses. Ohne mir Zeit für eine Antwort zu geben, wandte er sich an Emerson: »Vater, du hast zwar beschlossen, mich nicht ins Vertrauen zu ziehen, aber ich glaube, ich weiß, was du vorhast. Du hast das Grab gar nicht gefunden, sondern hoffst, das heute nacht zu tun, indem du den Dieben folgst, die wissen, wo es sich befindet.«
»Ich wollte es dir sagen«, antwortete Emerson schicksalsergeben, »da du sowieso dahintergekommen wärst. Mein Plan lautet folgendermaßen …«
Ein Stöhnen des Kranken ließ ihn innehalten. David regte sich und hatte die Augen halb
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