Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Rand. Ich werde hinuntersteigen und mir die Sache ansehen.«
Er umfaßte das Seil und ließ sich hinab. »Aha«, meinte er befriedigt. »Das habe ich mir gedacht. Hier ist ein Loch, zwar ein bißchen eng, aber ich glaube, ich kann … Bleib, wo du bist, und rühr dich nicht von der Stelle, bis ich es dir erlaube.«
Langsam verschwand er in der Tiefe, zuerst seine Füße und Beine, dann sein Rumpf und schließlich sein Kopf. Selim, der immer noch im Tunnel auf meine Anweisung zum Weitergehen wartete, fing an zu jammern.
»Oh, Sitt, was ist los? Oh, Vater der Flüche, laßt mich nicht hier zurück!«
»Sei still!« schimpfte ich, denn allmählich zerrte die Situation ein wenig an meinen Nerven. Unter mir war es so pechfinster, daß es so aussah, als wäre Emerson von schwarzem Treibsand verschlungen worden.
Dann war auf einmal wieder sein Kopf zu sehen. »In Ordnung, Peabody«, sagte er fröhlich. »Warte, bis ich dreimal fest am Seil ziehe, bevor du mir folgst. Ich möchte es lieber nicht mit dem Gewicht von zwei Personen belasten. Wenn du dich erst einmal durch die schmale Öffnung gezwängt hast, ist es ganz leicht. Glaubst du, du schaffst es?«
Er trug zwar ein aufmunterndes Lächeln auf dem Gesicht, aber an seinem Stirnrunzeln erkannte ich, daß er sich Sorgen machte.
»Ich habe es doch auch bis hierher geschafft«, erwiderte ich. »Oh, Emerson, sei vorsichtig.«
»Du ebenfalls.«
»Sitt Hakim«, vernahm ich da eine zitternde Stimme aus dem Tunnel. »Etwas hält meinen Fuß fest. Ich glaube, es ist ein Afreet.«
Den Blick auf das gespannte, zitternde Seil gerichtet, sagte ich: »Gib mir die Hand, Selim. Dann wird meine Kraft durch deinen Körper hindurch bis in deinen Fuß fließen, und der Afreet wird dich loslassen.«
Natürlich gelang es ihm, sich von dem Afreet (in Wirklichkeit ein Stein) zu befreien, und ich half ihm hinaus auf das Sims. Da der Platz sehr beengt war, wies ich ihn an, sich nicht zu bewegen. Kaum hatte ich das getan, als das Seil schlaff wurde.
»Emerson!« schrie ich, überwältigt von Angst. Daraufhin wurde dreimal am Seil gezerrt, und ich hörte Emersons merkwürdig verzerrte Stimme: »Los, Peabody.«
Nachdem ich durch die Öffnung geklettert war – groß genug für mich, doch sicher ziemlich schmal für meinen Ehemann –, stand ich zu meiner Überraschung vor einer abschüssigen, glatten Fläche anstatt vor einer steilen Felswand. Emerson hatte unterdessen eine Kerze angezündet; er umfaßte jetzt meine Taille und stellte mich auf die Füße.
Während wir auf Selim warteten, zündete ich ebenfalls eine Kerze an und sah mich um. Die Höhle hatte einen Durchmesser von wenigen Metern und machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment einstürzen, denn Felsen verschiedener Größe ragten auf allen Seiten und über unseren Köpfen hervor. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß es einen Weg nach draußen gab, hätte ich ihn vermutlich nicht gefunden. Wir mußten uns an einem großen Stein vorbeidrängen und einen zweiten umrunden, bis wir nach einer weiteren Kurve endlich in der kühlen Nachtluft standen. Wir befanden uns auf den Hügeln von Drah Abu’l Naga, nur einige hundert Meter von Deir el Bahri entfernt, dessen Säulen bleich im Mondlicht schimmerten.
»Kein Wunder, daß dieses Grab so lange unentdeckt geblieben ist«, keuchte ich. »Man kann den Eingang weder von oben noch von unten sehen. Wer würde vermuten, daß hinter diesem Steinhaufen eine Öffnung liegt?«
»Wahrscheinlich gab es hier bis vor kurzem auch keine Öffnung«, entgegnete Emerson nachdenklich. »Doch mit solchen Überlegungen warten wir lieber, bis wir ein wenig Ruhe haben. Am besten suchen wir jetzt die Kinder und kehren zum Boot zurück.«
Wir überließen es Selim, die Stelle zu markieren, und marschierten Arm in Arm los, wobei Emerson mir zuliebe das Tempo verlangsamte.
»Frierst du, mein Liebling?« fragte er, als ich erschauderte.
»In einer so schönen Nacht? Sieh dir nur die Sterne an! Ich zittere vor Aufregung. Was für eine Entdeckung! Wieviel Mut und Klugheit hast du an den Tag gelegt, um das Grab zu finden! Wo bleiben die Freudensprünge?«
»Das wäre bestimmt ein erheiternder Anblick. Laß die Schmeicheleien; unseren Erfolg haben wir ebenso dem Glück wie meinen Fähigkeiten zu verdanken. Doch unsere Abenteuer von heute nacht werfen einige Fragen auf. Als ich in das Grab kam, hatte ich den Eindruck, mitten in einen kleinen Krieg hineinzuplatzen.«
»Das mußt du mir erklären,
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