Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
nicht sagen, da ich keine Kuverts öffne, die an andere adressiert sind.«
Auf diese sanfte Ermahnung folgte ein verlegenes Schweigen. Miss Marmaduke fing an, über das schöne Wetter und den prachtvollen Sonnenuntergang zu sprechen. Ich antwortete ihr mechanisch und sah zu, wie Emerson den Umschlag aufriß, der mir bereits ins Auge gefallen war.
Wahrscheinlich enthielt er als einziger eine interessante Nachricht, denn er war von einem Boten abgegeben worden.
Die Handschrift kannte ich nicht. Würde Emerson mir sagen, was in dem Schreiben stand? Würde er mich ins Vertrauen ziehen?
Doch er schien nicht die Absicht zu haben. Ich sah nur, daß sein Kinn mit der hübschen Spalte und seine Hand, die den Brief hielt, zitterten. Als er ihn in die Tasche stecken wollte ergriff ich ihn und nahm ihn an mich.
Nachdem ich das Schreiben gelesen hatte, wandte ich mich an den Steward: »Sag dem Koch, daß der Professor und ich heute abend auswärts essen.«
»Himmelherrgottkreuzdonnerwetter!« sagte Emerson zu niemandem im besonderen.
Als Daoud das Boot vom Ufer abstieß, brummte Emerson: »Wenigstens kommt die tägliche Störung heute früher als sonst. Vielleicht kann ich endlich einmal eine Nacht durchschlafen.«
»Was, glaubst du, will er?« fragte ich, während ich mir einen Spitzenschal um den Kopf schlang.
»Amelia, das sind wir doch schon ein dutzendmal durchgegangen, seit du den Brief gelesen hast. Was für einen Sinn hat es, Vermutungen anzustellen? Wir werden die Antwort bald von Riccetti selbst bekommen.«
»Emerson, du weißt genau, daß das nicht stimmt. Er wird uns eine Menge Lügen auftischen, um uns in die Irre zu führen. Nur darum hat er uns doch eingeladen.«
Die Einladung bezog sich ausdrücklich auch auf mich. Diese Tatsache beruhigte mein schlechtes Gewissen, weil ich fremde Post gelesen hatte – denn von Emerson hätte ich nie erfahren, was in dem Brief stand.
Emerson schmollte noch immer und gab keine Antwort, weshalb ich fortfuhr: »Ein merkwürdiger Zufall, daß Riccetti nach Luxor kommt, kurz nachdem wir die Nilpferdstatue gefunden haben. Glaubst du, daß er uns auf diese kuriose Weise sein Eintreffen ankündigen wollte?«
Wie erwartet führten diese Worte bei Emerson zu einem Wutanfall, was meiner Erfahrung nach leichter zu ertragen ist als sein Schmollen. »Du hast eine übertriebene Vorliebe für merkwürdige Zufälle, Amelia! Möglicherweise ist er schon seit Wochen hier. Und was die mystische Bedeutung von Nilpferden anbelangt, kann ich nur davon ausgehen, daß deine Märchenübersetzungen dir zu Kopfe gestiegen sind. Warum zum Teufel …«
Und so weiter und so fort. Sein Monolog, der den Rest der Überfahrt andauerte, hatte eine belebende und anregende Wirkung auf ihn. Ich lehnte mich an seine Schulter und genoß die Aussicht.
Riccetti hatte uns zum Essen ins Hotel Luxor eingeladen. Bei unserer Ankunft war er schon da, und alle Blicke ruhten auf ihm. Abgesehen von den Kellnern mit ihren Fesen und den roten Pantoffeln hätte der Speisesaal des Luxor auch zu jedem beliebigen englischen Hotel gehören können, denn die Tische waren mit Damasttüchern, Servietten, Kristallgläsern und feinem Porzellan gedeckt, und die Gäste trugen konventionelle europäische Abendkleidung. Nur Riccetti fiel auf wie ein Bussard in einem Spatzenkäfig. Die Anwesenheit der beiden Leibwächter, die reglos wie Statuen hinter ihm standen, verlieh ihm zusätzlich eine exotische Note. Man hatte ihm einen der besten Tische in einer Ecke neben den Fenstern gegeben. Als er uns entdeckte, winkte er uns zur Begrüßung zu, und wie auf Kommando drehten sich alle Gaffer gleichzeitig nach uns um.
Nach seinem Vortrag war Emerson in (verhältnismä ßig) gehobener Stimmung. Er gestattete Riccetti, sich bei mir zu entschuldigen, weil er sich nicht erhoben hatte (»Die Zipperlein des Alters, Mrs. Emerson«), ehe er die Ellenbogen auf den Tisch stützte und sagte: »Kommen wir gleich zur Sache Riccetti. Ich habe nicht vor, das Brot mit Ihnen zu teilen oder meine Frau länger als nötig Ihrer Gegenwart auszusetzen. Amelia, rühr den Wein nicht an!«
»Aber meine Freunde!« rief Riccetti aus. »Wie soll ich einen Trinkspruch auf Ihren Erfolg ausbringen, wenn Sie nicht einmal ein Gläschen mit mir trinken wollen?«
»Also wissen Sie, daß wir das Grab gefunden haben«, stellte ich fest.
»Ganz Luxor weiß es. Natürlich hat es mich nicht überrascht. Ich habe das größte Zutrauen in Ihre Fähigkeiten.«
»Sie haben uns
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