Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
einer Frau wie Mrs. Jones auseinanderzusetzen. Deshalb war ich froh, sie Cyrus zu überlassen. Als Emerson mich aus dem Zimmer begleitete, sah ich, wie es sich Cyrus in dem Ohrensessel bequem machte und seine Beine weit von sich streckte, während ihn Mrs. Jones wie ein aufmerksamer Duellant beobachtete.
»Stütze dich auf mich, meine Liebe«, sagte Emerson und umschlang mit einer Hand meine Taille. »Schmerzt dein Knöchel immer noch?«
»Nur unwesentlich«, sagte ich tapfer. »Um dir die Wahrheit zu sagen, Emerson, ich bin immer noch überrascht von der unerwarteten Wendung. Das war wieder typisch für Ramses, so mit uns umzuspringen! Wird er seine Heimlichtuereien jemals ablegen?«
Die jungen Leute hatten uns überholt und liefen schon ein gutes Stück voraus. »Gib’s zu, Peabody, es war doch eine grandiose Idee.«
»Ich hoffe, daß es Enids Idee gewesen ist. Ja, es muß von ihr ausgegangen sein; ich habe ihr neulich einen kleine Lektion erteilt, die sie sich offensichtlich zu Herzen genommen hat.«
Emersons Griff wurde fester, und er sagte zärtlich: »Hervorragend, Peabody. Aber kann sie die geheimnisvolle Aura aufrechterhalten?«
»Jetzt redest du wieder wie der typische Mann«, wies ich ihn zurecht. »Das hängt nicht ausschließlich von ihr ab. Donald muß ebenfalls seinen Teil dazu beitragen. Ich glaube, ich werde auch mit ihm einmal reden.«
Emerson lachte. Das Echo silberhellen Gelächters strömte zu mir zurück. Nefret ging zwischen den beiden Burschen, und als sie Arm in Arm die Treppen hinunterstiegen, sah ich, daß sie angeregt plauderte, allerdings konnte ich ihre Worte nicht ausmachen. Sie paßten gut zusammen, diese drei. Es freute mich, sie so freundschaftlich verbunden zu sehen.
Aus Manuskript H:
»Du unverbesserlicher Lügner«, rief Nefret.
Ramses, der ausgestreckt auf seinem Bett lag und las, blickte hoch. Sie sah aus wie eine junge erzürnte Göttin, als sie dort am offenen Fenster stand. Es war nach Deck hin ausgerichtet und gab den Blick auf den Nachthimmel frei. Das Mondlicht erhellte ihre schlanke Silhouette und schimmerte auf ihrem Haar. Eine altnordische oder keltische Göttin, dachte Ramses – keine ägyptische, auch wenn sie auf ihrem linken Arm eine zusammengerollte Katze trug. Nicht mit diesen rotgoldenen Haaren.
»Wieder durchs Fenster?« sagte er. »Du könntest ebensogut auf normale Art und Weise über die Reling und durch die Tür kommen. Und warum hast du diese verfluchte Katze mitgebracht?«
»Sie kam schreiend hinter mir her. Ich mußte sie mitbringen, sonst hätte sie das ganze Haus aufgeweckt.« Nefret schob seine Beine beiseite und setzte sich auf das Bett. Sekhmet krabbelte zu Ramses, und Nefret fügte hinzu: »Ich glaube, sie hat sich in Risha verliebt; sie verbringt die meiste Zeit in seinem Stall und bewundert ihn.«
»Also bist du heute nacht auf Risha hierhergeritten.«
»Es macht dir doch nichts aus, oder?«
»Würde es die Sachlage ändern, wenn es mir etwas ausmachte? Nein, ich habe selbstverständlich nichts dagegen. Wenn du unbedingt darauf bestehst, nachts allein die Gegend unsicher zu machen, bist du auf seinem Rücken sicherer aufgehoben als sonst irgendwo.«
»Wo ist David?« fragte Nefret, die versteckte Kritik ignorierend.
»An Deck, er hat ein Auge auf die Valley of the Kings. Wärest du von der anderen Seite gekommen, hättest du ihn gesehen.«
»Glaubst du, daß heute nacht irgend etwas geschieht?«
»Wenn es so ist, sind wir jedenfalls darauf vorbereitet«, sagte Ramses ausweichend.
Nefrets Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was für ein Glück, daß ich gekommen bin. Auch ich werde Wache halten, so daß du und David etwas schlafen könnt.«
»Du kannst nicht die ganze Nacht hierbleiben!«
»Warum denn nicht? Es ist genug Platz vorhanden.« Ramses’ Hand lag auf der Katze. Er streichelte sie automatisch und war viel zu verwirrt, um zu bemerken, was er eigentlich tat. »Weil Mutter uns bei lebendigem Leibe das Fell über die Ohren ziehen wird, wenn sie das herausfindet.«
»Sie wird es nicht herausfinden.« Ein Ausdruck von Sorge glitt über Nefrets Gesicht. »Die Ärmste, sie war so erschöpft heute abend und hatte solche Schmerzen an ihrem Knöchel. Du weißt, wie sie ist; sie würde nicht einmal sich selbst gegenüber irgendeine Schwäche zugeben. Also habe ich – äh – dafür gesorgt, daß sie einen guten Nachtschlaf haben wird.«
Ramses saß plötzlich kerzengerade in seinem Bett. »Großer Gott! Du hast ihr etwas
Weitere Kostenlose Bücher