Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
daß Bellingham bewaffnet ist und ihm auflauert. Beim nächsten Mal wird er etwas anderes versuchen.«
»Was würdest du in seiner Lage tun?« fragte ich. »Verflucht, ich bin nicht in seiner Lage«, erwiderte Emerson gereizt. »Ich meine damit, daß ich gar nicht weiß, was er eigentlich vorhat. Es wäre ein leichtes für ihn, sich von einem dieser sogenannten Sportler, die in den Bergen und Tälern rund um Luxor jagen, ein Gewehr zu besorgen. Aber wenn ich einen Mann so abgrundtief haßte wie Scudder Bellingham, würde ich sein Gesicht sehen wollen, wenn ich ihn tötete; ihn spüren lassen, daß er stirbt und durch wessen Hand.«
Aus Manuskript H:
Auf ihren Wunsch hin trafen sie sich in Nefrets Zimmer. »Es wäre nicht schicklich, vermute ich, wenn ich zu euch käme«, bemerkte sie, setzte sich kerzengerade auf ihren Stuhl und verschränkte die Arme.
Ramses betrachtete sie neugierig. »Konventionell gesehen, ist es genauso unangebracht, daß wir in deinem Zimmer sind. Ich hoffe, du denkst nicht, daß Mutter und Vater etwas dagegen hätten. Sie sind weder derartig konventionell noch – noch mißtrauisch.«
»Ich weiß.«
Sie hatte die Lider gesenkt und preßte die Lippen zusammen. »Irgend etwas hat dich verstimmt«, sagte Ramses leise. »Was denn eigentlich?«
»Etwas, das der Colonel gestern nacht gesagt hat. Und dann machte er alles noch schlimmer, indem er sich dafür entschuldigte! Widerlicher alter Mann! Ich will nicht, daß er alles verdirbt«, fügte sie zornig und irgendwie unlogisch hinzu.
»Das will ich nicht hoffen.« Sie sah ihn nicht an, was vermutlich auch nicht notwendig war. Der Hinweis wäre für jemand anderen vielleicht unverständlich gewesen, aber nicht für ihn – nicht, wenn Nefret betroffen war. Er fuhr in einem Tonfall fort, der beherrschter war, als es sein Gesichtsausdruck spiegelte. »Egal wie, der Colonel und seine Tochter werden in Kürze wieder aus unserem Leben verschwinden. Ich brauche deinen Rat, Nefret. Wenn ich den Mut gehabt hätte, dir vor einigen Tagen schon völlig zu vertrauen, befänden wir uns nicht in dem gegenwärtigen Dilemma.«
»Wie meinst du das?« Sie hob den Kopf, und ihr Gesicht hellte sich auf.
»Schon vor dem gestrigen Abend hatte ich den Verdacht, daß Tollington unser Mann wäre. Nicht«, fügte er mit einem seiner seltenen Lächeln hinzu, »indem ich dem gleichen interessanten Gedankenverlauf wie Mutter folgte. Er war gut begründet, aber nicht besonders hilfreich. Was mich ihm gegenüber mißtrauisch gemacht hat, waren die zunehmenden Ähnlichkeiten. Ich bin Dutton zweimal sehr nahe gekommen; auch wenn er sein Gesicht verbarg, konnte ich seine Bewegungen und gewisse andere physische Verhaltensweisen beobachten – wie er ein Messer hielt, beispielsweise. Als er mich an jenem Abend in Vandergelts Garten zu Boden stieß …«
»Hat er sich genauso bewegt?« fragte Nefret.
»Nicht exakt. Aber, um ehrlich zu sein, es war doch eine ziemlich blöde Sache, so etwas vorzuschlagen. Niemand außer deutschen Universitätsstudenten duelliert sich doch heute noch. Ich mußte mich fragen, was er damit zu erreichen hoffte. Die naivste Erklärung lautete, daß er Dolly beeindrucken wollte …«
»Er ist die Sache völlig falsch angegangen«, unterbrach ihn Nefret. »Wie du wissen solltest.«
Sein Ablenkungsversuch war ihm gelungen. Ihre blauen Augen leuchteten wieder, und ihr Gesicht strahlte.
»Wie meinst du das?« fragte er.
»Mein lieber Junge! Begreifst du denn nicht, daß Dolly hinter dir her ist, weil du dich ihr gegenüber so gleichgültig verhältst? Nicht, daß du nicht groß und stattlich und schrecklich attraktiv auf Frauen wirkst und all das«, fügte sie schwärmerisch hinzu. »Aber es ist die Herausforderung, die sie anspornt. Wenn du dich dazu durchringen könntest, so zu tun, als fändest du sie anziehend …«
»Nein«, sagte Ramses, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.
»Nun, vergiß es. Wir werden sie und ihren Vater loswerden, und in der Zwischenzeit werden David und ich dich beschützen.«
»Ich danke dir. Hast du etwas dagegen, wenn wir wieder zum Thema Tollington zurückkehren?«
»Ganz im Gegenteil, mein Junge. Da Tollington Dutton war, konnte es nicht sein Ziel sein, Dolly zu beeindrucken. Was er wollte«, sagte Nefret voller Überzeugung, »war, dich an einem abgeschiedenen Ort loszuwerden. Ein Duell erfordert einen abgeschiedenen Ort, nehme ich an?«
»Ganz recht«, sagte Ramses.
»Er wäre nicht allein gewesen.« Es
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