Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
Reisner, der mich sehr höflich dazu eingeladen hatte, ihn in Gizeh zu besuchen – »Die dritte Pyramide ist Bestandteil unserer Konzession, Mrs. Emerson, und sie steht Ihnen immer zur Verfügung« –, als sich ein weiterer Herr zu uns gesellte.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche«, sagte er mit einer höflichen Verbeugung. »Darf ich kurz mit Ihnen reden, Mrs. Emerson, wenn Sie Ihr Gespräch mit Mr. Reisner beendet haben?«
Es war Colonel Bellingham. Mr. Reisner entschuldigte sich, und ich war eigentlich nicht überrascht, Emerson plötzlich an meiner Seite zu wissen. Trotz seiner Größe ist er, wenn er es für nötig hält, so flink und lautlos wie eine Katze.
»Komm, Amelia«, sagte er ungehalten. »Die Droschke wartet.«
»Wenn Sie mir einen Augenblick zuhören könnten …«, begann der Colonel.
»Es ist schon recht spät, und wir verlassen Kairo morgen in aller Frühe.«
»Tatsächlich? Dann«, sagte der Colonel mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit, »ist es um so dringender, daß wir noch heute abend miteinander reden. Wollen Sie sich nicht setzen, Mrs. Emerson? Ich verspreche Ihnen, daß ich Sie nicht lange aufhalten werde.« Mit einem Lächeln fügte er hinzu: »Und den jungen Leuten gibt es die Gelegenheit, sich besser kennenzulernen.«
Zumindest eine hatte diese Gelegenheit bereits genutzt. Dolly, die in pinkfarbene, mit Spitzen und Perlen besetzte Seide gehüllt war, hielt Ramses fest am Arm gepackt.
»Guten Abend, Sir«, sagte sie. »Guten Abend, Mrs. Emerson, Madam. Ich bin so froh, daß Daddy Sie noch erreicht hat. Ich denke, er will mit Ihnen über langweilige alte Grabstätten sprechen, deshalb warten wir besser draußen auf der Terrasse.«
»Ohne eine Anstandsdame?« entfuhr es mir.
Dolly warf ihren Kopf zurück und blickte über ihre Schulter zu Nefret und David. »Nun, ist doch klar, Miss Forth ist die perfekte Anstandsdame. Und – David? Kommen Sie schon, Mr. Emerson.«
Ramses ließ sich von ihr ins Freie zerren. Nefret nahm Davids Arm. »Darf ich mich auf dich stützen, David?« fragte sie mit einem betörenden Lächeln und einem Blick, der an die Härte von Lapiskugeln erinnerte. »In meinem Alter ermüdet man so leicht.«
»Die beiden sind ein schönes Paar, was?« sagte Bellingham. Er meinte damit nicht Nefret und David, obwohl diese Beschreibung zutreffend gewesen wäre.
»Was wollen Sie?« fragte Emerson.
»Nun, Sir, Ihnen zunächst einmal dafür danken, daß Ihr Sohn meiner Dolly vor einigen Tagen zu Hilfe gekommen ist. Aber ich erwarte eigentlich von ihr, daß sie das jetzt selbst erledigt, und sie kann das sicherlich gewandter als ich.«
Ich hatte die Umgangsformen der jungen Dame nicht unbedingt als gewandt in Erinnerung. Sie war fast schon unverschämt gegenüber Nefret gewesen, und David, den sie mit seinem Vornamen angeredet hatte, hatte sie damit auf dem Niveau eines Dienstboten angesiedelt.
Emerson war der Seitenhieb auf seinen Schützling nicht entgangen. »Miss Bellingham benötigte keine Hilfe. Der junge Mann hatte sie vielleicht kompromittiert, aber sie befand sich an einem solch öffentlichen Ort weder in Gefahr vor ihm noch vor irgend jemand anderem. Wenn das der einzige Grund war, weshalb Sie uns hier aufhalten …«
»Ich habe den eigentlichen Grund, weshalb ich mit Ihnen sprechen will, ja noch gar nicht genannt.«
»Dann tun Sie es jetzt.«
»Selbstverständlich. Von Monsieur Maspero habe ich heute erfahren, daß Ihre Ausgrabungen in dieser Saison auf die unbekannteren und weniger interessanten Gräber im Tal der Könige beschränkt sind.« Er sah Emerson fragend an, und dieser nickte ungehalten. »Ich habe mir die Kühnheit erlaubt, Monsieur Maspero darauf hinzuweisen, daß es eine Schande wäre, ein so wichtiges Gebiet weniger kompetenten Archäologen zu überlassen, wo er doch mit Ihnen den erfahrensten Grabungsexperten Ägyptens zur Verfügung hat.«
»Ach, das haben Sie ihm gesagt, in der Tat?« Emerson, der nervös von einem Fuß auf den anderen trat, setzte sich plötzlich hin und fixierte sein Gegenüber mit festem Blick. »Und was meinte Maspero dazu?«
»Er hat sich nicht definitiv dazu geäußert«, war die süffisante Antwort. »Aber ich habe allen Grund zu der Annahme, daß er für ein neues Gesuch von Ihrer Seite empfänglich wäre.«
»Tatsächlich? Nun, dann bin ich Ihnen für Ihre Intervention zu Dank verpflichtet.«
Colonel Bellingham war klug genug, es dabei bewenden zu lassen. Er verabschiedete sich von uns, und
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