Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
Antiquitä ten waren Ägypter oder Türken. Schmerzvolle Erfahrung hatte mich jedoch gelehrt, daß sich auch Europäer an diesem schmutzigen Geschäft beteiligten, und sie waren vermutlich noch gefährlicher und skrupelloser als ihre einheimischen Kollegen. Seit Sethos sich zur Ruhe gesetzt hatte, hatte eine Reihe von Leuten versucht, seine Organisation ganz oder teilweise zu übernehmen. Der stämmige deutsche Baron, der elegante junge Franzose, der Nefret anschmachtete, der rotwangige englische Adlige – jeder von ihnen konnte ein Verbrecher sein.
Eine Berührung meines Arms ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken, und ich bemerkte Katherine neben mir. Sie trug ein Kleid aus grüner Seide mit türkischer Stickerei, das sie in London hatte anfertigen lassen, und dazu Cyrus’ Hochzeitsgeschenk, ein Smaragdgeschmeide. »Ganz ohne Mieder«, flüsterte sie mir mit einem komplizenhaften Grinsen zu. »Kommen Sie, wir setzen uns einen Augenblick hin, ich bin schon seit Stunden auf den Beinen.«
Wir zogen uns in eine ruhige Ecke zurück, und Katherine sagte: »Amelia, ich möchte mit Ihnen über mein neues Projekt sprechen. Vor einigen Tagen habe ich mich mit Miss Buchanan von der amerikanischen Mädchenschule unterhalten. Ich muß sagen, daß ich mich meiner Nationalität beinahe schämte. Die Amerikaner haben sehr viel mehr getan als wir Engländer, um das Los der ägyptischen Frauen zu verbessern – Schulen und Krankenhäuser im ganzen Land …«
»Nicht zu vergessen die Kirchen«, sagte ich. »Ich wäre die letzte, die die Wohltaten dieser aufopfernden Menschen nicht anerkennen würde, aber letztlich sind sie Missionare, und ihr oberstes Ziel ist die Bekehrung der Heiden.«
»War es nicht Heinrich der Vierte, der sagte ›Paris ist eine Messe wert‹, als sein Anspruch auf den französischen Thron von seiner Konvertierung zum Katholizismus abhängig gemacht wurde? Vielleicht ist Bildung ein Gebet wert.« Ich lächelte ihr bestätigend zu, und Katherine fuhr fort: »Allerdings ist hier genug Platz für eine Schule, die keine solchen Forderungen stellt und auch denen Bildung ermöglicht, die das Schulgeld für die Missionsschule nicht aufbringen können. Miss Buchanan war freundlicherweise einverstanden und bot mir jegliche Unterstützung ihrerseits an.«
»Großartig«, sagte ich voller Herzlichkeit. »Ich bin erfreut, daß Sie Ihr Projekt durchsetzen, Katherine, und ich verspreche, meinen Teil dazu beizutragen. Vor einigen Tagen hatte ich mir vorgenommen, Fatimas Lehrerin kennenzulernen, aber mir blieb leider keine Zeit.« »Ich habe sie getroffen. Fatima nannte mir ihren Namen, und ich habe sie gestern besucht. Sie ist eine interessante Frau, Amelia – freundlich und gebildet und offensichtlich einer höheren Gesellschaftsschicht angehörend.
So bewundernswert die Methoden der Amerikaner sind, aber von Lehrerinnen wie Sayyida Amin können wir noch einiges lernen.«
»Ah, dann zieht sie die Anrede Sayyida der einer Madame vor? Das vermittelt mir, daß sie nicht gerade mit den westlichen Idealen der Emanzipation sympathisiert.« »Eine ganze Reihe gebildeter Ägypter und Ägypterinnen lehnen unsere Anwesenheit und unsere Vorstellungen ab«, sagte Katherine betrübt. »Aber das ist auch nicht sonderlich überraschend.«
»Ganz recht. Freundliche Herablassung kann ebenso verärgern wie eine offene Beleidigung. Nicht daß einer von uns ein solches Fehlverhalten an den Tag legte! Es tut mir leid, daß ich Sie nicht begleiten konnte, Katherine. In der letzten Zeit war ich einfach sehr beschäftigt.« »Mit Sicherheit waren Sie das!«
Ich erzählte ihr vom gegenwärtigen Fortschritt unserer Nachforschungen – oder, genauer gesagt, von dem fehlenden Fortschritt. Keiner anderen Frau aus meinem Bekanntenkreis hätte ich von Nefrets Besuch im Freudenhaus zu erzählen gewagt, doch ich war mir sicher, daß Katherines unsteter Lebenswandel sie toleranter gegenüber denjenigen empfinden ließ, die häufig ohne eigenes Verschulden an den Konventionen der Gesellschaft scheiterten. Wie üblich lag ich mit meiner Einschätzung richtig. »Sie ist ein bemerkenswertes Mädchen, Amelia. Man kann ihren Mut und ihren Ehrgeiz nur bewundern – und um ihr Wohlergehen besorgt sein. Sie werden alle Hände voll zu tun haben.«
»Das habe ich bereits. Ramses reicht schon, um jeden Erziehungsberechtigten an den Rand der Verzweiflung zu treiben, und ich wage zu behaupten, daß auch David für Probleme sorgen wird.«
Ich hatte ihn im
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