Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
auf der Tischplatte ruhten, und auf die angespannt über der Nachricht brütenden Gesichter. Nefret entfuhr ein tiefer Seufzer.
»Gott sei Dank. Ich hoffte, daß sie mir vertrauen würde. Jetzt kann ich …«
»Dort waren zwölf Frauen«, sagte Ramses tonlos.
»Von welcher sprichst du?«
»Sie trug … Ach, vergiß es, dir wäre es ohnehin nicht aufgefallen. Es war die Art, wie sie mich anschaute.« »Hmhm«, machte Ramses.
»Äh … ja«, sagte Emerson. »Spielt es eine Rolle, welche von ihnen es war? Eine davon scheint jedenfalls eure Hilfe zu erbitten – und vielleicht ihre anzubieten. Ich gehe natürlich hin.«
» Meine Hilfe«, sagte Nefret. »Die Mitteilung war an mich gerichtet.«
»Verflucht«, sagte Ramses. »Verzeihung, Mutter. Hört endlich auf, und denkt einmal alle darüber nach. Die Nachricht kann nicht von einer dieser Frauen stammen.
Keine von ihnen kann schreiben!«
»Das weißt du doch gar nicht«, gab Nefret zurück. »Trotzdem ist seine Feststellung logisch«, stimmte Emerson zu. Er rieb sich sein Kinn. »Ein öffentlicher Briefeschreiber?«
»Das würde sie nicht riskieren«, beharrte Ramses.
»Egal, die Schrift ist jedenfalls ziemlich unbeholfen.« »Sie erinnert mich …«, hub David an.
Er erhielt keine Gelegenheit, seinen Satz zu beenden.
Emerson erklärte, daß jemand nach dem Rechten sehen müsse. Nefret bestand darauf, daß sie diejenige sei. Der Tisch wackelte; Horus, der soeben von einem seiner nächtlichen Streifzüge zurückgekehrt war, war hinaufgesprungen und versuchte Nefrets Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als ihm das nicht gelang, schnupperte er neugierig an dem Papier. »Nimm es ihm weg, Nefret«, wies ich sie an. Es war bereits zu spät. Horus fauchte und zerfetzte das Papier mit seinen Krallen.
»Ich hoffe«, sagte Emerson, »daß du das nicht wieder für eines deiner verfluchten Omen hältst, Peabody.«
Ich brauchte keinerlei Omen, um den bevorstehenden Ausflug mit äußerster Vorsicht anzugehen. Wir hatten uns darauf geeinigt, daß er stattfinden mußte; falls das Bittgesuch ernst gemeint war, durften wir es nicht ignorieren. Ramses beharrte darauf, daß es sich um eine List handeln mußte, gab jedoch selbst zu, daß Ort und Zeitpunkt der Verabredung von einer Frau hätten stammen können. Besagte Moschee befand sich unweit des von ihnen besuchten Freudenhauses und bot ihr im Morgengrauen, wenn die anderen noch schliefen, die beste Gelegenheit, sich davonzustehlen. So kam eins zum anderen, und es war mir nicht vergönnt, eine angenehme Nachtruhe zu finden. Ich glaube auch nicht, daß Emerson in dieser Nacht gut schlief. Als er mich wach rüttelte, war es draußen noch dunkel, und als wir uns im Salon zu einem eiligen Frühstück versammelten, lag der Sonnenaufgang noch einige Stunden vor uns. Da wir uns nicht darauf hatten einigen können, wer von uns gehen sollte, brachen wir alle auf, einschließlich Sir Edward.
Am Abend zuvor hatte er wenig gesagt und nahm sein Frühstück auch jetzt nachdenklich schweigend ein.
»Sie haben gestern abend sehr wenig gesagt, Sir Edward«, bemerkte ich. »Ich habe den Eindruck, daß Sie die Sache nicht billigen.«
Mit hochgezogenen Brauen blickte er auf. »Ich habe einige Bedenken, Mrs. Emerson. Ich kann einfach nicht glauben, daß es eine dieser Frauen wagen würde, mit Ihnen in Verbindung zu treten, beziehungsweise in der Lage wäre, Ihnen zu schreiben. Was Miss Forth ihnen gesagt hat, muß mittlerweile den meisten Bewohnern Luxors bekannt sein. Ein einfallsreicher Widersacher könnte sich dieses Wissen zunutze machen, um Sie in eine Falle zu locken.«
»Das haben wir gestern abend ausführlich diskutiert«, erinnerte ich ihn. »Und uns darauf geeinigt, daß wir dieses Risiko in Kauf nehmen müssen.«
»Dann hat es keinen Sinn, wenn ich Sie davon abzubringen versuche?«
»Ganz und gar nicht«, sagte Nefret.
Ergeben senkte er den Kopf, doch als wir unsere Pferde bestiegen, bemerkte ich, daß er irgend etwas in seine Jackentasche gleiten ließ. Eine Pistole? Das hoffte ich zumindest. Ich selbst war »bis an die Zähne« bewaffnet, wie Emerson ironisch feststellte: meine kleine Pistole in der einen, mein Messer in der anderen Jackentasche, meinen Sonnenschirm in der Hand. Meinen Werkzeuggürtel hatte ich zurückgelassen, doch die meisten der nützlichen Utensilien waren auf meine anderen Taschen verteilt. Man kann nie wissen, wann ein Schluck Brandy oder ein Streichholz erforderlich werden.
Die erste zarte
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