Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
eigentliche Grabkammer. Das werden wir morgen herausfinden. Weigall wird eine Stromleitung hierherunter legen, so daß wir elektrisches Licht haben.«
Jetzt, wo er mir einen Anhaltspunkt gegeben hatte, war ich in der Lage, weitere Einzelheiten zu erkennen. Auf der Holzplatte schienen sich Reliefs und Inschriften zu befinden. »Das Blattgold muß über einer Schicht Gips aufgetragen worden sein, die bereits brüchig ist. Sie werden doch nicht zulassen, daß dieser tattrige alte Narr sich daran zu schaffen macht, oder?«
Aufgrund meiner Entrüstung äußerte ich mich beinahe so unverblümt wie Emerson (der allerdings noch verschiedene weitere Adjektive hinzugefügt hätte).
»Diese Frage stellt sich zur Zeit nicht«, erwiderte Ned. »Ich bin mir noch nicht sicher, wie das weitere Vorgehen aussehen wird. Mrs. Emerson, vielleicht sind Sie so liebenswürdig, uns einen Rat zu geben.«
Mit dem größten Vergnügen erbot ich ihnen diese Liebenswürdigkeit! Mr. Weigalls Vorschlag, die Polizei zu informieren und Wachen vor dem Grab zu postieren, war überaus vernünftig. Die bloße Erwähnung des Wortes »Gold« reichte, um jeden Grabräuber von Luxor auf Trab zu bringen, und noch vor Einbruch der Dunkelheit würde es jeder in Luxor wissen. Es erstaunte mich keineswegs, als ich erfuhr, daß Mr. Davis unter allen Umständen dazu entschlossen war, am folgenden Tag in das Grab zu klettern. Weigalls Versuche, ihn davon zu überzeugen, daß er besser wartete, bis die Holzplatte stabilisiert oder wenigstens kopiert werden konnte, waren eher halbherzig und rasch abgetan.
»Ayrton, schaffen Sie das Ding noch vor morgen früh da unten raus«, wies ihn Davis an. »Vorsichtig, versteht sich. Will nicht, daß es beschädigt wird. Kommen Sie zum Abendessen mit, Weigall?«
»Äh … nein, danke, Sir. Ich glaube, ich werde heute nacht im Tal bleiben. Ich würde mich über meine Verantwortung hinwegsetzen, wenn ich das Grab unbewacht ließe.«
»Ganz recht«, stimmte ihm Davis zu. »Also dann bis morgen. Leiten Sie alle erforderlichen Schritte ein. Ich will sehen, was dort unten ist.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, schlenderte er fort, da seiner Meinung nach nur eine gelten konnte. Das erinnerte mich an eine meiner Lieblingsoperetten von Gilbert und Sullivan: »Wenn Ihre Majestät etwas will, dann ist es schon so gut wie getan. Und wenn es getan ist, weshalb dann noch darüber reden?« (Ich umschreibe zwar, aber der Grundtenor lautet in etwa so.)
Ayrton und Weigall warfen sich vielsagende Blicke zu.
Sie verstanden sich zwar nicht besonders, doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt hatte sie die beiderseitige Bestürzung zu Verbündeten gemacht. Weigall schnaubte: »Das können wir nicht tun. Nicht, ohne es zu ruinieren.«
Ned straffte die Schultern. »Ich werde es ihm erklären. Es sei denn, Sie legen Wert darauf.«
»Im Hinblick auf Mr. Davis ist meine Position keinesfalls gefestigt«, erwiderte Weigall steif.
Meiner Meinung nach war Neds Position noch sehr viel weniger gefestigt. Allerdings war das nicht der Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung oder eine Gegenbeschuldigung. Die Situation war kritisch. Wenn Emerson der dafür Verantwortliche gewesen wäre, wäre kein Stein angerührt worden, und nicht eine einzige Person hätte das Grab betreten, bis die Holzplatte untersucht, fotografiert (sofern möglich), kopiert (von David) und jede nur erdenkliche Anstrengung unternommen worden wäre, um die brüchige Blattgoldauflage zu stabilisieren. Das schien offensichtlich nicht geplant zu sein. Meine Pflicht sah ich darin, Wege zur Schadensbegrenzung vorzuschlagen.
»Vielleicht wäre es möglich, eine Art Brücke über der Holzplatte zu installieren«, erklärte ich. »Unser Rais Abdullah verfügt über beträchtliche Erfahrung auf diesem Gebiet.«
Weigalls Gesicht hellte sich auf. »Das wollte ich gerade vorschlagen«, sagte er. »Ich glaube, ich weiß, woher ich ein Holzbrett von der entsprechenden Länge organisieren kann.«
»Ich werde es Abdullah ausrichten«, sagte ich. Weigall machte keinerlei Einwand, obwohl ihm klar sein mußte, daß ich auch Emerson davon berichten würde.
Emerson hielt sich besser als erwartet – obwohl ich hätte wissen müssen, daß man sich auch in Krisenzeiten auf seine besonnene Reaktion verlassen konnte. Die Krise war eingetreten – archäologisch betrachtet; wenn auch nur eine von vielen und vermutlich weniger zerstörerisch als andere grauenvolle Fehlentscheidungen hinsichtlich der Methodik, die
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