Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
ihm.
»Werden Sie eine Zeichnung des Grabes anfertigen?« fragte ich, während ich näher auf die Öffnung zutrat. Davis und Weigall befanden sich am Fuß der Treppe und standen den Arbeitern im Weg, die die Steine der eingerissenen Mauer entfernten und diese dann auf einen nahe gelegenen Schuttabladeplatz schleppten. Die Teile des Verputzes, auf dem das Siegel der Totenstadt angebracht war, hatte man abgeklopft und achtlos in einen Korb geworfen. Mehr konnte ich von meinem Standort nicht erkennen.
»Das hängt von Mr. Davis ab«, erwiderte Smith freundlich und fuhr sich mit seinem Ärmel über die schweißnasse Stirn. »Und davon, ob sich die Sache überhaupt lohnt. Sie haben gerade erst die Wand aufgebrochen, und ich weiß nicht, was sich dahinter verbirgt. Aufregend, nicht wahr?«
Nefret, die mit Mrs. Andrews geplaudert hatte, gesellte sich gerade noch rechtzeitig zu uns, um seine abschließende Äußerung zu hören. »Ja, ganz gewiß!« entfuhr es ihr. Sie erhob ihre Stimme zu einem zuckersüßen Sopran und rief: »Mr. Davis, darf ich mal sehen? Ich bin so aufgeregt!«
»Später, mein Kind, später.« Müde und verschwitzt, aber sehr zufrieden, quälte sich Davis die Stufen hinauf.
Er war kein junger Mann mehr; von daher mußte man seinen Enthusiasmus zumindest anerkennend erwähnen.
Er tätschelte Nefret die Hand. »Wir machen jetzt Mittagspause. Wenn ihr wollt, könnt ihr in ein paar Stunden wiederkommen. Und«, fügte er mit einem selbstgefälligen Grinsen hinzu, »bringt Professor Emerson mit.« Mr. Davis’ Mittagessen, die in einem nahe gelegenen Grab serviert wurden, waren überaus vornehm und dauerten entsprechend lange. Wir beendeten unsere eigene bescheidene Mahlzeit ziemlich rasch, so daß wir schon vor ihm erneut auf der Bildfläche erschienen. Barhäuptig setzte sich Emerson in der gleißenden Sonne auf einen Steinquader und zündete seine Pfeife an. Ramses und David entfernten sich, um mit Davis’ Rais zu plaudern, der zusammen mit den anderen Männern im Schatten hockte, wo sie mit dem unerschütterlichen Gleichmut ihrer Gesellschaftsschicht auf die Rückkehr ihres Dienstherrn warteten. Ich konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, doch sie lachten recht viel, und David errötete merklich.
Als Mr. Davis mit seinem Gefolge zurückkehrte, begrüßte er uns mit ungewohnter Herzlichkeit. »Ich dachte mir, daß Sie sich das einmal anschauen wollten«, bemerkte er. »Sehen Sie, es ist mir erneut gelungen. Ich habe wieder ein Grab entdeckt.«
Emerson biß fest in das Mundstück seiner Pfeife.
»Hmhm«, sagte er. »Ja. Wenn ich etwas für Sie tun kann …«
»Nicht nötig«, versicherte ihm Davis. »Wir haben alles unter Kontrolle.«
Ich hörte ein Knacken und hoffte, daß es lediglich das Mundstück von Emersons Pfeife war und keiner seiner Zähne. Tatsächlich dauerte es nicht mehr lange, bis die Arbeit für diesen Tag beendet wurde. Die Damen aus Davis’ Gruppe beklagten sich über die Hitze, und Weigall blickte ziemlich betreten drein. Ich bekam mit, daß er irgend etwas über die Polizei sagte. Unfähig, meine Neugier noch länger zu unterdrücken, gesellte ich mich zu der Gruppe, die aus Weigall, Davis, Ayrton und Nefret bestand. »Was ist denn los?« fragte ich.
»Wenn Sie wollen, können Sie es sich ansehen«, sagte Davis freundlich. Sein Schnurrbart war schweißnaß, und seine Augen leuchteten.
Auf der Treppe reichte mir Ned höflich seine Hand.
Der Eingang klaffte bis auf einige verbliebene Sockelsteine offen. Der für die Grabstätten der 18. Dynastie charakteristisch abfallende Tunnelgang schlängelte sich in die Dunkelheit. Er war ungefähr einen Meter hoch mit abbröckelndem Mauerwerk angefüllt, und auf diesem Geröll lag der seltsamste Gegenstand, den ich jemals in einem ägyptischen Grabmal gesehen hatte. Er füllte den Gang praktisch aus, und seine gesamte Oberfläche schimmerte wie pures Gold. Ich beugte mich vor, wagte weder, mich zu rühren, noch zu atmen, da sich bereits bei meinem Blick ein goldenes Blättchen von der Größe meines Daumennagels bewegte und von besagtem Gegenstand auf das Geröll rieselte.
»Was ist das?« flüsterte ich.
»Eine Holzplatte mit Blattgold, möglicherweise von einem Schrein.« Ned sprach ebenso leise wie ich. »Obenauf liegt noch ein weiterer vergoldeter Gegenstand – vielleicht die Tür dieses Schreins.«
»Und weiter unten – am Ende des Ganges?«
»Wer weiß? Weitere Stufen, eine weitere Kammer – vielleicht die
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