Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
diesig vor lauter Sandstaub.
Unser Fahrer stellte sich hinter die andere Kutsche. Emerson half mir beim Aussteigen und begleitete mich zur Tür. »In einer Stunde hole ich dich wieder ab.«
Er war seltsam übervorsichtig, aber wie hätte ich ihm das nach seinen liebevollen Worten abschlagen können? »Anderthalb Stunden wären besser. Bis bald, mein geliebter Emerson.«
Ein ordentlich gekleideter Diener öffnete mir die Tür gerade noch rechtzeitig, ehe mein Hut das Weite suchte. Er wartete, bis ich den Schal abgelegt und meine Röcke geglättet hatte. Dann öffnete er eine weitere Tür, bat mich hinein und schloß sie hinter mir. Das Zimmer war kein Salon. Es war klein, kärglich möbliert und ohne Fenster. Die einzige Lichtquelle stellte eine Lampe auf einem niedrigen Tischchen dar. Das Licht reichte aus, um die Silhouette einer auf mich zuschreitenden Frau zu erkennen. Ihr Gesicht konnte ich nicht genau wahrnehmen, aber ich erkannte ihren Hut. Für Mode habe ich ein geschultes Auge.
»Guten Tag, Mrs. Emerson. Nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
»Mrs. Ferncliffe?« entfuhr es mir.
Mit einem plötzlichen Armschwung holte sie aus und packte mich so fest wie ein Mann. In diesem Augenblick wußte ich, wer sie war; diese Umklammerung kannte ich bereits. Kein Wunder, daß ich in Mrs. Ferncliffe, einer modebewußten, aber keineswegs vornehmen Dame, nicht Berthas tatkräftige Stellvertreterin erkannt hatte. Matilda hatte stets die strenge Tracht einer Krankenschwester getragen und ihr verhärmtes Gesicht nie geschminkt. Das war mein letzter zusammenhängender Gedanke. Ihre Hand legte sich auf meine untere Gesichtshälfte, und ihr stählerner Arm wehrte meine sämtlichen Verteidigungsbemühungen ab, bis ich schließlich den stickigen Geruch des Tuches einatmete, das sie festhielt.
Als ich wieder zu mir kam, hatte ich leichte Kopfschmerzen, doch die eigentliche Wirkung des Chloroforms war vorüber. Der Raum, in dem ich mich befand, war nicht derselbe, in dem man mich überwältigt hatte. Er war größer und schien gemütlicher möbliert, allerdings konnte ich nicht viel sehen, da nur eine einzige Lampe den Raum erhellte. Wenigstens gab es ein Bett; darauf lag ich. Meine Knöchel waren mit Stricken verschnürt, meine Hände auf der Brust mit etwas noch Unnachgiebigerem gefesselt. Als ich sie zu bewegen versuchte, wurde meine Geste von einem metallischen Klirren untermalt.
»Dem Himmel sei Dank!« vernahm ich eine mir vertraute Stimme. »Sie sind schon bewußtlos, seit man Sie vor Stunden hierhergebracht hat. Wie geht es Ihnen?«
Ich drehte mich zur Seite. Eine solche Bewegung ließen meine Fesseln gerade noch zu.
Mein Gefährte befand sich in noch üblerer Verfassung. Er war mit Stricken an seinen Stuhl gefesselt. Seine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden, und ich bezweifelte, daß er auch nur einen Finger rühren konnte. Sein blondes Haar war zerzaust und sein Mantel zerrissen, das ganze Gesicht voller Schrammen. Außer bei der Arbeit in Tetisheris stickigem Grab hatte ich Sir Edward Washington noch niemals so ungepflegt gesehen.
»Wie sind sie denn hier gelandet?« krächzte ich.
»Das spielt doch jetzt keine Rolle. Auf dem Tisch neben Ihnen steht ein Becher mit einer Flüssigkeit. Können Sie sie erreichen?«
Ich inspizierte meine Handfesseln. Es waren festverriegelte Handschellen, die mit einer Kette und einem Vorhängeschloß an den Bettpfosten befestigt waren. Die Kette war nicht lang genug, um meine gefesselten Füße zu berühren, doch ich erreichte den Becher.
Er bemerkte mein Zögern und meinte beruhigend: »Der Bursche, der Sie so tatkräftig gefesselt hat, hat davon getrunken, bevor er verschwand, von daher bezweifle ich, daß das Getränk vergiftet ist. Zweifellos ist es unhygienisch, aber mit Sicherheit nicht gefährlich.«
Die Flüssigkeit war Bier, dünn, schal und warm und auch nicht verschont von den Fliegen, aber eine Dame darf nicht wählerisch sein, wenn ihre Kehle so ausgetrocknet wie die Wüste ist. Bevor ich trank, gelang es mir noch, einige Fliegen herauszufischen. Danach fühlte ich mich schon erheblich besser. (Dafür war vielleicht der Alkoholgehalt des Getränks verantwortlich.) »Mit Ihnen ist sie nicht gerade zimperlich umgegangen«, bemerkte ich. »Hatten Sie einen Gesinnungswechsel? Wenn ja, dann war es überaus unvernünftig, Matilda davon wissen zu lassen.«
»Aber, Mrs. Emerson, was meinen Sie damit? Die Tatsache, daß Sie mich in dieser Verfassung vorfinden
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