Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
bekommen. Das war nicht unbedingt zu erwarten.«
»Um so mehr Grund, sich von der Altstadt fernzuhalten«, sagte ich. »Ramses, versprich mir, daß du und David nicht mehr abends dorthin geht.«
»Was? Oh, ja, selbstverständlich.«
Also, damit war die Sache beendet. Aber wir würden die Antwort auf unsere Frage schon bald erfahren. Wir waren entkommen – mitsamt dem Papyrus –, und falls unsere Feinde Ramses’ und Davids wahre Identität kannten, würden sie nicht aufgeben. Mach dir trotzdem keine Sorgen, mein Liebling, wir wissen auf uns aufzupassen.
»Mein lieber Emerson«, sagte ich. »Bevor wir Kairo verlassen, müssen wir mit Monsieur Maspero sprechen.«
»Einen Teufel werde ich tun«, schnaubte Emerson. Wir frühstückten gerade auf dem Oberdeck, wie es unsere liebgewonnene Angewohnheit ist; nur die mittlerweile zahlreichen Motorschiffe und Dampfer störten die Idylle ein wenig. Wie ich mich danach sehnte, zu der malerischen Küste von Luxor zurückzukehren, wo die Farben des Sonnenaufgangs noch nicht von Rauchwolken getrübt wurden und wo die frische, morgendliche Brise nicht nach Benzin und Motorenöl stank! Emerson dachte genauso und hatte vorgeschlagen, daß wir noch am gleichen Tag dorthin segeln sollten. Das ist wieder typisch Mann! Sie meinen, daß sie nur einen Wunsch zu äußern brauchen, und schon wird er erfüllt. Ich erklärte ihm, daß vor unserer Abreise noch eine ganze Reihe von Dingen erledigt werden mußte – Rais Hassan brauchte beispielsweise Zeit, um die Mannschaft zusammenzustellen und die notwendigen Vorräte an Bord zu schaffen. Ein Gespräch mit M. Maspero war meiner Meinung nach fast genauso wichtig. Das Wohlwollen des Direktors der Antikenverwaltung ist für jeden von Bedeutung, der in Ägypten Ausgrabungen vornehmen will. Emerson genoß es jedoch keineswegs. Während der vergangenen Ausgrabungssaison hatten wir uns mit einer besonders langweiligen Kategorie von Gräbern beschäftigt. Um Maspero gegenüber gerecht zu bleiben, muß gesagt werden, daß hauptsächlich Emersons Eigensinn dafür verantwortlich war. Er hatte Maspero zur Weißglut gebracht, als er sich weigerte, das Grab der Tetisheri – unsere berühmte Entdeckung – den Touristen zugänglich zu machen. Diese Ablehnung hatte sich in Konsequenzen niedergeschlagen, die selbst Emerson außerordentlich rigide erschienen. Maspero hatte reagiert, indem er Emersons Gesuch, neue Grabstätten im Tal der Könige zu erschließen, zurückwies. Und er hatte noch Salz in die Wunde gestreut, indem er ihm den Vorschlag machte, sich mit den kleineren Gräbern auseinanderzusetzen, die zwar nicht den Königen zugeschrieben wurden, von denen es im Tal jedoch eine ganze Reihe gab. Ein Großteil dieser Grabstätten war bereits von anderen Archäologen entdeckt worden, und es war bekannt, daß sie absolut nichts Interessantes enthielten.
Um gegenüber Emerson gerecht zu bleiben, muß ich sagen, daß wir mit Sicherheit ein Anrecht auf eine zuvorkommende Behandlung durch Maspero besaßen, da wir aus Gründen, die in der vorliegenden Schilderung zu weit führten, den gesamten Inhalt der Grabstätte dem Kairoer Museum übergeben und auf den üblichen Finderlohn verzichtet hatten. (Das wiederum hatte verheerende Auswirkungen auf unsere Beziehung zum Britischen Museum, dessen Verwaltung erwartet hatte, daß wir ihm unseren Anteil als Schenkung überließen. Emerson interessierte die Einstellung des Britischen Museums jedoch ebensowenig wie die von M. Maspero.)
Ein vernünftiger Mensch hätte sich geschlagen gegeben und um die Erlaubnis gebeten, woanders zu arbeiten. Emerson ist kein vernünftiger Mensch. Mit grimmiger Entschlossenheit und einem Schwall deftiger Flüche hatte er das Projekt akzeptiert und hielt so lange daran fest, bis uns allen vor Langeweile beinahe der Kragen platzte. Während der letzten Jahre hatte er ein Dutzend der fraglichen Gräber untersucht. Und ich schätzte, daß noch ungefähr ein weiteres Dutzend unserer harrten. »Dann gehe ich eben allein«, sagte ich. »Nein, das wirst du nicht tun!«
Es freute mich zu sehen, daß unsere kleine Auseinandersetzung (zusammen mit mehreren Tassen starken Kaffees) Emerson aus seiner üblichen Morgenlethargie gerissen hatte. Er setzte sich aufrecht hin, straffte die Schultern und ballte seine Hände zu Fäusten. Eine nicht unattraktive Zornesröte überhauchte seine Wangen, und das Grübchen in seinem energischen Kinn vibrierte. Mit Emerson zu streiten ist reine
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