Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
Auftraggeber, wer auch immer das sein mag, haben eine geniale Gaunermethode entwickelt. Sie bieten den Papyrus zum Verkauf an, locken potentielle Käufer in das Haus, schlagen sie bewußtlos, rauben das Geld und machen sich mitsamt dem Papyrus davon. Dieser Vorgang läßt sich beliebig oft wiederholen, da die Opfer ihre Beteiligung an einer illegalen Transaktion vermutlich nicht zugeben. Diesmal beschloß Yussuf Mahmud, das Geschäft allein abzuwickeln. Er erwartete die anderen, aber nicht so früh. Noch vor ihrem Eintreffen hoffte er, den Handel unter Dach und Fach zu bringen und mit dem Geld zu verschwinden. Er hätte uns eingesperrt – ich bemerkte, daß er den Schlüssel auf der Außenseite der Tür steckengelassen hatte, was mich eigentlich noch mißtrauischer hätte machen müssen – und uns der süßen Rache seiner Kumpane ausgeliefert. Sie tauchten früher auf als erwartet, weil sie ihm nicht trauten. Statt mit vereinten Kräften gegen uns anzutreten, wurden diese Idioten von ihrer Habsucht überwältigt. Wie ich gehört habe, soll Gold auf schwache Charaktere einen demoralisierenden Effekt ausüben.«
»Mußt du eigentlich so verflucht langatmig sein?« entfuhr es mir. »Glaubst du, daß das die Erklärung für die Falle ist? Ein simpler Betrug?«
»Nein«, sagte Ramses. »Ich denke, der zweite Teil meiner Theorie ist haltbar – Yussuf Mahmud hoffte, sich mit dem Geld aus dem Staub machen zu können, bevor die anderen auftauchten –, aber leider müssen wir die von mir erwähnte, unangenehme Alternative berücksichtigen. Die Frau hatte allen Ernstes vor, David die Kehle aufzuschlitzen. Und ist es lediglich Zufall, daß sie mit ihrem Überfall auf uns warteten, bis du bei uns warst?«
»Das hoffe ich«, sagte ich ehrlich.
»Ich auch, mein Mädchen. Sie konnten nicht wissen, daß du dort sein würdest, aber sie rechneten fest mit David und mir, und sie griffen zu außergewöhnlichen Mitteln, um unsere Gefangennahme oder unsere Ermordung sicherzustellen. Es kann kein Zufall sein, daß Yussuf Mahmud den Papyrus ausgerechnet uns angeboten hat. Es gibt genügend andere Händler in Kairo, die ihn liebend gern zu dem von uns gezahlten Preis gekauft hätten. Es tut mir leid, aber wir müssen die Möglichkeit berücksichtigen, daß irgendjemand auf irgendeine Art und Weise unsere wahre Identität herausgefunden hat.«
»Wie ist ihnen das nur gelungen?« wollte David wissen. Der arme Junge, er war so stolz auf seine geschickte Verkleidung gewesen! Ramses war ebenfalls nicht erpicht darauf, ein Versagen zuzugeben. In der für ihn typischen Art schürzte er die Lippen. Als er antwortete, klang es, als zischten seine Worte durch einen schmalen Spalt. »Kein Plan ist vollkommen idiotensicher. In diesem Zusammenhang fallen mir mehrere Möglichkeiten ein … Aber warum unsere Zeit auf Vermutungen verschwenden? Es ist schon spät, und Nefret gehört ins Bett.«
Im Schilfrohr rauschte es unheimlich. Ich erschauerte. Der Nachtwind war kalt.
David beugte sich vor und nahm meine Hand. Er ist ein so lieber Junge! Ein aufrichtiges Lächeln erhellte sein Gesicht (ein wirklich anziehendes Gesicht). »Ganz recht. Komm, kleine Schwester, du hattest einen anstrengenden Abend.«
Ich ließ mir von ihm aus dem Boot ans Ufer helfen. Mit David an der Spitze gingen wir hintereinanderher; er wählte den am wenigsten beschwerlichen Weg. »Es gibt solche Zufälle«, sagte David. »Vielleicht jagen wir einfach nur einem Phantom nach.«
»Mit dem Schlimmsten zu rechnen ist immer die sicherste Methode«, meinte Ramses hinter mir angesäuert. »Was für ein verfluchter Mist. Wir haben drei Jahre dafür gebraucht, diese Charaktere zu entwickeln.«
Ich trat auf etwas Matschiges, das einen entsetzlichen Gestank verbreitete. Eine Hand packte mich am Rücken und gab mir erneuten Halt.
»Danke«, sagte ich. »Igitt! Was war das ? Nein, sag besser nichts. Ramses hat recht, ihr könnt nicht mehr als Ali und Achmet auftreten. Falls sie wissen, wer ihr in Wahrheit seid, könnte der Papyrus ein Mittel gewesen sein, um euch in diese schreckliche Gegend zu locken. Ein möglicher Mörder oder Entführer bekäme euch nicht so leicht zu fassen, solange ihr euch mit uns und der Besatzung auf der Dahabije befindet oder euch in den anständigen Gegenden Kairos inmitten von unzähligen Passanten aufhaltet.«
»Einen positiven Aspekt hat die Sache jedenfalls«, gestand Ramses. (Er zieht es eher vor, die negativen Seiten zu sehen.) »Wir haben den Papyrus
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