Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
Blick.
4. Kapitel
Natürlich berichtete ich Emerson von Masperos Angebot. »Was ist mit Abusir, Emerson? Oder Medum? Darüber hinaus schreien große Gebiete rund um Sakkara nach einer Exkavation.«
»Bist du bereit, unseren Wohnsitz in Luxor aufzugeben, Peabody? Wir haben das Haus gebaut, weil wir uns in den nächsten Jahren auf dieses Gebiet konzentrieren wollten. Zum Teufel, ich habe mir geschworen, diese Arbeit zu vollenden, und ich lehne deine Versuche …« Doch dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck, und er brummte: »Ich weiß, daß du dich immer noch nach den Pyramiden sehnst, meine Liebe. Gestehe mir noch eine weitere Saison im Tal zu, und dann … Nun, dann werden wir weitersehen. Ist das ein zufriedenstellender Kompromiß?«
Meiner Meinung nach war das überhaupt kein Kompromiß, denn er hatte mir rein gar nichts in Aussicht gestellt. Allerdings waren die seinen Worten folgenden zärtlichen Liebesbeweise zufriedenstellend. Ich erwiderte sie mit der mir eigenen Begeisterung, und damit war das Thema erledigt – zumindest vorübergehend. Unser Gespräch fand im Shepheard’s, meinem Lieblingshotel in Kairo, statt. Emerson hatte meinem Vorschlag großzügig zugestimmt, dort einige Tage zu logieren, bevor wir die Stadt verließen. Meine Ausrede, in dieses Hotel umzuziehen, hatte sich auf seine diesbezüglichen Annehmlichkeiten hinsichtlich der Vorbereitungen für meine alljährliche Abendgesellschaft bezogen; obgleich ich es ungern zugebe, platzte unsere liebgewonnene, alte Dahabije aufgrund unserer ständig größer gewordenen Familie beinahe aus den Nähten. Es gab nur vier Kajüten und ein einziges Bad, und da wir alle unseren beruflichen Aufgaben nachgingen, war der Salon so vollgestopft mit Schreibtischen, Büchern und Materialien, daß kein Platz für einen langen Eßtisch zur Verfügung stand. Da man von Fatima nicht verlangen konnte, daß sie auf dem Unterdeck bei der Besatzung schlief, mußte für sie eine unserer Kajüten geräumt werden. (Sie hatte zwar vorgeschlagen, auf einem Feldbett im Gang zu nächtigen oder auf dem Boden in Nefrets Zimmer, doch beides war undenkbar.) Deshalb mußten David und Ramses eine Kajüte teilen, und ich brauche vermutlich keiner Mutter heranwachsender Söhne den Zustand dieses Raums zu beschreiben. Um zu den Betten zu gelangen, mußte man sich seinen Weg durch Bücher und herumliegende Kleidungsstücke erkämpfen. Mit einem betrübten Seufzen gestand ich mir diese Tatsache ein, die Emerson vermutlich verborgen blieb (als typischer Vertreter der Gattung Mann nahm er die von mir geschilderten Unannehmlichkeiten nicht einmal wahr). Wenn die Kinder bei uns waren, bot die Amelia einfach nicht genügend Raum für alle. Dieser Zustand würde jedoch nicht ewig dauern, sagte ich mir. David war einundzwanzig und hatte sich bereits ein Renommee als Künstler und Gestalter erworben. Eines Tages würde er sich von uns abnabeln, und das war nur recht und billig. Nefret heiratete sicherlich; es überraschte mich lediglich, daß sie noch keinen der sie in Scharen verfolgenden Verehrer erhört hatte. Ramses … Für einen normalen Menschen war es einfach unmöglich, Ramses’ Werdegang zu prognostizieren. Ich war mir fast sicher, daß er irgend etwas tun würde, was mir nicht gefiele, aber er würde uns zumindest irgendwann verlassen und es anderswo tun. Diese Vorstellung hätte eigentlich angenehm sein müssen. Wieder allein mit Emerson zu sein, ohne diese liebenswerten, aber auch anstrengenden jungen Leute, war einmal mein schönster Traum gewesen. Er war es natürlich immer noch …
Nach einem klärenden Gespräch mit Mr. Baehler, der die Vorbereitungen für meine Abendgesellschaft traf, war ich auf die Terrasse zurückgekehrt, um auf Emerson und Nefret zu warten, die gemeinsam mit mir den Tee einnehmen wollten. Die am wolkenlosen Himmel strahlende Sonne spiegelte sich in den Goldapplikationen der Uniformen der vor dem Hoteleingang wartenden Dragomane; der Rosen- und Jasminduft von den Blumenkarren der Händler strömte mit einer leichten Brise zu mir herüber. Selbst das Poltern der Wagenräder, das Gebrüll der Kutscher und die Schreie der Esel und Kamele klangen wie Musik in meinen Ohren, denn das war die Geräuschkulisse Ägyptens, die ich mit liebevoller Verbundenheit registrierte. Emerson hatte gesagt, daß er zum Französischen Institut gehen würde. Nefret hatte gesagt, daß sie einen Einkaufsbummel machen wolle. Aus Achtung vor dem, was sie gern als meine
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