Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
geblieben und setzte sich auch jetzt nicht, sondern umklammerte lediglich die Stuhllehne und beugte sich mit gesenkter Stimme vor.
»Vielleicht ist das Kind tatsächlich von mir. Diese Möglichkeit will ich gar nicht ausschließen. Nein – bitte laß mich ausreden! Ich schwöre, ich wußte nichts davon! Bei meinem letzten Aufenthalt in Kairo war ich jung und töricht und leicht zu verführen, aber der … der Akt, der zu dem derzeitigen Problem führte, war ein einziger Fehltritt, den ich bitter bereue. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um die Sache geradezurücken. Geld – welchen Betrag hältst du für angemessen –«
Mit einem unterdrückten Aufschrei hielt er inne, richtete sich auf und fixierte über meine Schulter hinweg einen Punkt. Selbstverständlich wußte ich, noch bevor ich den Kopf wandte, worum es sich handelte.
»Die Tische stehen sehr eng zusammen, Ramses«, warnte ich meinen Sohn. »Falls du ihn schlägst, wird er vornüberfallen und vermutlich irgendwelche unschuldigen Gäste in Mitleidenschaft ziehen. Percy, ich sprach von einer Minute. Du solltest meine Warnung beherzigen.«
Ramses’ lockerte seine Faust, trotzdem ergriff ich seinen Arm, um auf der sicheren Seite zu sein. Percy war so weit wie eben möglich zurückgewichen – lediglich ein, zwei Schritte –, er schien jedoch entschlossen, dem Gesagten noch etwas hinzuzufügen.
»Das war mein voller Ernst, Tante Amelia. Glaubst du, daß ich die Wahrheit gesagt habe?«
»Es interessiert mich nicht, ob du die Wahrheit gesagt hast oder nicht«, herrschte ich ihn an. »Was du getan hast, ist unentschuldbar, und deine Versuche, dich aus der Affäre zu ziehen, machen es nur noch schlimmer. In Wahrheit glaube ich nicht, daß ich Ramses noch lange zurückhalten kann, Percy, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das will. Verschwinde und laß dich nie wieder bei uns blicken.«
»In Ordnung.« Er verbeugte sich und trat einige weitere Schritte zurück, wobei er vorsichtig zurückblickte, um keinen Touristen über den Haufen zu rennen. »Ich hatte eigentlich vor, Nefret zu besuchen und ihr meine Glückwünsche zu übermitteln, aber …«
Ich lockerte meinen Griff um Ramses’ Arm. Percy trat in aller Eile den Rückzug an und bahnte sich mit einer Schnelligkeit den Weg durch die dichtgedrängten Tische, die von einem ausgeprägten Sinn für Selbstschutzmaßnahmen zeugte.
»Setz dich«, sagte ich. »Eine öffentliche Szene würde das Gerede der Leute lediglich schüren. Ich erinnere mich, daß du mich einmal um die Erlaubnis gebeten hast, Percy zu verprügeln. Heute tut es mir leid, daß ich das nicht zugelassen habe.«
»Ich hätte nicht die Kontrolle über mich verlieren dürfen«, murmelte Ramses. »Bislang konnte er nur vermuten. Jetzt weiß er es.«
»Oh, ich bin mir sicher, daß er bereits wußte, wie sehr du ihn verachtest.«
»Was hat er vor meinem Auftauchen gesagt?« Allmählich wich die Zornesröte aus Ramses’ Wangen.
»Er gab zu, daß das Kind von ihm sein könnte. Es war der einzige Fehltritt, den er aufgrund seiner Jugend und seiner leichten Verführbarkeit beging.«
»Der hat Nerven«, erwiderte Ramses zähneknirschend. »Er gesteht die Sache lediglich ein, wenn man ihn festnagelt, und selbst dann versucht er noch, die Wahrheit schönzufärben.«
»Nun, mein Lieber, auf alle Fälle wird er uns in Zukunft meiden. Ich glaube, ich habe meine Einstellung deutlich gemacht. Sollen wir jetzt bestellen? Ich könnte eine schöne, heiße Tasse Tee vertragen.«
Zwei Tage später wurde der Leichnam einer jungen Frau im Uferschilf oberhalb des Staudamms gefunden. Vermutlich hätten wir nie davon erfahren, wenn die Kairoer Polizei aufgrund Ramses’ hartnäckiger Nachforschungen nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß uns eine solche Entdeckung interessierte. Mr. Russell, der stellvertretende Kommissar, informierte uns – Ramses, um genau zu sein. Unser Sohn berichtete uns erst davon, nachdem er die sterblichen Überreste inspiziert hatte. Eine genaue Identifikation war unmöglich, da die Leiche schon mehrere Tage lang im Fluß gelegen hatte, doch die allgemeine Beschreibung traf auf Rashida zu, die genau wie das Opfer eine Halskette aus billigen Perlen getragen hatte. Sie war übersät von Messerstichen. Die Polizei führte den Mord auf Drogenmißbrauch zurück, da bereits ähnliche Fälle bekannt waren, in denen der übermäßige Haschischkonsum zu einem Tötungswahn geführt hatte.
Von Kalaan fehlte immer noch
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