Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
jede Spur. Emerson glaubte, daß er Kairo verlassen hatte und sich versteckte. Ramses schien jegliches Interesse an ihm verloren zu haben. »Es gibt einfach zu viele von seinem Kaliber«, meinte er schulterzuckend.
Die folgenden Wochen verliefen ohne weitere Zwischenfälle. Das fand ich überaus alarmierend. Emerson machte sich lustig über meine Vorahnungen (in dieser Hinsicht belächelt er mich ständig); trotzdem wies ich ihn hartnäckig darauf hin, daß ein Widersacher, der bereits mehrere brutale Angriffe ausgeführt hat und der auch vor einem Mord nicht zurückschreckte, vermutlich nicht aus seiner Haut kann. Daraus resultierte weitere herbe Kritik von Seiten Emersons hinsichtlich der Verwechslungsgefahr bei Metaphern, trotzdem wußte ich, was ich meinte, und er ebenfalls.
Wenn ich behaupte, daß alles ruhig verlief, heißt das keineswegs, daß sich nichts ereignete. Wir speisten mit den Vandergelts und sie mit uns; ich richtete eine Reihe zwangloser, aber trotzdem eleganter Abendveranstaltungen als Willkommensgruß für David und Lia aus und natürlich zu Ehren des anderen jungen Paares. Alle vier, nicht zu vergessen Emerson, hatten gegen meinen ursprünglichen Vorschlag, einen großen Empfang in einem der Hotels zu veranstalten, so heftig protestiert, daß ich schließlich nachgab. Ich persönlich halte auch nicht sonderlich viel von solch pompösen gesellschaftlichen Ereignissen, wollte aber die Gerüchteküche endlich zum Schweigen bringen. Alles in allem hatten wir der winzigen Enklave der besseren Gesellschaft von Kairo in dieser Saison reichlich Gesprächsstoff geliefert, und ich war mir sicher, daß »deren Mitglieder« mittlerweile boshafte Spekulationen hinsichtlich Nefrets überstürzter Eheschließung anstellten. Als ich das gegenüber Emerson erwähnte, warf er mir einen so schneidenden Blick zu, wie ich das an ihm beileibe nicht gewohnt war.
»Spekulationen welcher Art?« wollte er wissen. »Das weißt du doch, Emerson. Sie werden die Tage zählen.«
»Bis wann?«
»Starr mich nicht so an und tu nicht so, als hättest du mich nicht verstanden.«
»Ich habe verstanden«, schnaubte Emerson. »Verflucht, Peabody, sind eigentlich alle Frauen so sensationslüstern und selbstgerecht?«
»Ja, ich glaube schon. Sie waren überglücklich, als sie bei der armen Maude Reynolds sozusagen ›das Schlimmste‹ annehmen durften, und ihren engstirnigen Hirnen zufolge gibt es nur einen Grund, warum eine junge Frau auf eine prachtvolle kirchliche Hochzeit mit Feier und dem ganzen Schnickschnack verzichten würde. Du weißt, daß ich das nicht glaube, Emerson, ich wollte nur …«
»Ich weiß.« Sein ernstes Gesicht entspannte. »Du wolltest deine Zuneigung und Unterstützung für Nefret zum Ausdruck bringen und die Lästermäuler zum Teufel jagen. Mach dir keine Sorgen, Peabody. Sie interessiert sich nicht für das Gerede solcher Leute, und wir sollten es auch nicht tun.«
Daraufhin versandte ich meine Einladungen, und im Verlauf der darauffolgenden Tage besuchte uns praktisch jeder in der näheren Umgebung von Kairo lebende Archäologe, und einige kamen sogar von weither. Die Petries gehörten nicht dazu. Um ehrlich zu sein, konnte ich Mrs. Petrie ebensowenig ausstehen wie Emerson ihren Gatten. Da Frauen diplomatischer sind als Männer (beziehungsweise größere Heuchlerinnen, wie ich aus anonymer Quelle weiß), äußerte sich die zwischen Hilda Petrie und mir bestehende Antipathie in frostiger Höflichkeit, wenn wir uns gezwungenermaßen begegneten, und in wohlüberlegten Ausreden, um uns so selten wie eben möglich begegnen zu müssen. Wann immer ich sie einlud, antwortete sie mir, daß sie an Grippe erkrankt sei oder an einer Verstauchung litt oder nichts anzuziehen habe. Das konnte uns allen nur recht sein.
M. Maspero schlug meine Einladung ebenfalls aus. Mir war klar, warum er uns mied. Es war schlicht und einfach eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Daß Emersons herausragendes Talent in einem so stumpfsinnigen Gebiet wie Zawiet vergeudet wurde, wohingegen die Pyramiden und Grabfelder rund um Dahschur schlechter qualifizierten Archäologen vorbehalten waren, hätte selbst die unterkühlte Nonchalance des Franzosen Maspero ins Wanken bringen müssen.
Noch schlimmer war, daß das riesige Ausgrabungsgebiet rund um Gizeh immer noch zur Diskussion stand. Ursprünglich hatte man es in drei Parzellen unterteilt, die jeweils den Deutschen, den Italienern und Mr. Reisner zugesprochen wurden, doch Signor
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