Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
Kurzschlußhandlung provozierte – und wovon ich nichts weiß?«
»Ramses. Mein Bruder …« Von seinen Emotionen überwältigt, sprang David auf und streckte ihm seine Hand entgegen.
»Ist schon in Ordnung«, erwiderte Ramses rasch. »Mach dir keinen Kummer. Das war eine rein rhetorische Frage; du kannst Percys Motive ebensowenig nachvollziehen wie ich.« Er trat ans Fenster und blickte ins Freie. »Um ehrlich zu sein, habe ich Angst vor ihm, David. Sein Denken ist so abartig und hinterhältig, daß ich unmöglich einschätzen kann, wozu er fähig ist. Allerdings gehe ich bei Sennia kein Risiko ein. Kalaan würde nicht wagen, jemandem etwas anzutun, der unter Vaters Schutz steht, aber Percy …«
Vater. Der Begriff hatte neue und schmerzliche Bedeutung für ihn gewonnen, und das nicht nur, weil das kleine Mädchen ihm die Liebe bewies, die ihr leiblicher Vater weder wollte noch verdiente. Die unverblümte Stellungnahme seiner Mutter hinsichtlich Nefrets Zustand hatte ihn im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen. Als heimlichen Segen hatte sie das bezeichnet … Vermutlich werde ich es niemals genau erfahren, dachte Ramses. Vielleicht ist es so auch besser.
Trotzdem war er froh, daß David sein Gesicht nicht sah.
Ich bedränge den Allmächtigen nur selten mit meinen Bittgesuchen, da seine göttliche Fügung mit Sicherheit an anderer Stelle dringender gebraucht wird. Allerdings betete ich in jener Nacht, während ich schlaflos neben meinem schlummernden Gatten lag. Seine Gegenwart war wie immer tröstlich, dennoch benötigte meine geschundene Seele zusätzlichen Beistand – die Hoffnung, daß die Zukunft positiver sein würde als die bedrückende Gegenwart.
Auf meine stummen Bitten erhielt ich keine Antwort. Doch ich schlief bald darauf ein und träumte.
»Nun, Abdullah«, sagte ich. »Du hast mich vor den herannahenden Stürmen gewarnt. Hätte ich gewußt, wie entsetzlich sie werden würden, hätte ich ihnen vielleicht nie getrotzt. Ich weiß nicht, ob ich jetzt den Mut aufbringe.«
Die aufgehende Sonne erhellte sein markantes, anziehendes Gesicht und die ebenmäßigen weißen Zähne, die in seinem schwarzen Bart aufblitzten. »Erinnerst du dich noch an die Schlange, Sitt Hakim? Dieses Individuum, das Emerson entführte und gefangenhielt, so daß wir nicht wußten, ob er überhaupt noch lebte?«
»Ich erinnere mich. Und ich erinnere mich auch, daß du ihn gerettet hast, Abdullah.«
»Damals verlorst du nie den Mut.«
»Oh, doch«, erwiderte ich, während ich an die Nacht zurückdachte, in der ich hemmungslos schluchzend auf dem Boden zusammengebrochen war und mir ein Handtuch vor mein Gesicht gepreßt hatte, damit niemand es bemerkte.
»Und dann gingst du zum Fenster und hast nach einer durchweinten Nacht den Sonnenaufgang gesehen.«
»Das weißt du also auch? Also wirklich, Abdullah, ich bin mir nicht sicher, ob ich deine Allwissenheit gutheißen kann. Gibt es eigentlich noch irgend etwas an mir, das du nicht weißt?«
»Wenig, sehr wenig.« Seine schwarzen Augen funkelten vor Übermut.
»Hmmm. Wie kann ich ihnen helfen?«
Abdullah schüttelte den Kopf. »Wie kann eine Frau nur so weise und doch so verblendet sein? Vielleicht ist es gut, daß du nicht alles weißt. Du würdest helfen wollen und scheitern, Sitt. Du verhältst dich nicht immer taktvoll.«
Es war ein solcher Trost, seinem früher im Scherz geäußerten Vorwurf zu lauschen und dabei sein Augenzwinkern zu sehen. Er nahm meine Hand in die seine; sie war so warm und kraftvoll, als lebte er noch. »Das schlimmste Unwetter steht dir noch bevor, Sitt. Du wirst mit deinem ganzen Mut um dein Überleben kämpfen müssen; aber dein Herz ist untrüglich, und letztlich ziehen die Wolken weiter, und der Falke des Lichts wird die Pforten der Morgendämmerung durchdringen.«
Ende
Die Stufenpyramide von Zawiet el-Aryan
Anhang 3: Zeitleiste des Alten Ägypten
Ära
Zeitraum
Vorgeschichte:
vor 4000 v. Chr.
Prädynastische Zeit:
ca. 4000–3032 v. Chr.
Frühdynastische Zeit:
ca. 3032–2707 v. Chr.
1. bis 2. Dynastie
Altes Reich:
ca. 2707–2216 v. Chr.
3. bis 6. Dynastie
Erste Zwischenzeit:
ca. 2216–2137 v. Chr.
7. bis 11. Dynastie
Mittleres Reich:
ca. 2137–1781 v. Chr.
11. bis 12. Dynastie
Zweite Zwischenzeit:
ca. 1648–1550 v. Chr.
13. bis 17. Dynastie
Neues Reich:
ca. 1550–1070 v. Chr.
18. bis 20. Dynastie
Dritte Zwischenzeit:
ca. 1070–664 v. Chr.
21. bis 25. Dynastie
Spätzeit:
ca. 664–332 v. Chr.
26. bis 31.
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