Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
kleinen Skarabäen waren beliebte Amulette, die die Lebenden und die Toten gern als Glücksbringer trugen. Die größeren – unter ihnen der berühmte »Hochzeits-Skarabäus« von Amenophis III. – dokumentierten häufig bedeutende Ereignisse. Dieser hier gehörte offenbar zu letzterer Gattung; als Emerson ihn aufhob und umdrehte, bemerkte ich die Hieroglyphenreihen auf der flachen Unterseite.
»Was steht da?« wollte ich wissen.
Emerson betastete sein Kinngrübchen – eine Angewohnheit, wenn er verwirrt oder nachdenklich ist. »Soweit ich es erkennen kann, handelt es sich um die Umseglung Afrikas im 12. Regierungsjahr von Sesostris III.«
»Was! Dann ist es ein historisches Dokument von einzigartiger Bedeutung, Emerson.«
»Hmmm«, brummte Emerson. »Nun, Renfrew?«
»Nun, Sir.« Erneut bleckte Renfrew seine ungepflegten Zähne. »Ich überlasse Ihnen den Skarabäus für den von mir gezahlten Preis. Mein Stillschweigen kostet Sie darüber hinaus keinen Pfennig.«
»Stillschweigen?« wiederholte ich. Sein Verhalten – und auch das Emersons – mutete irgendwie merkwürdig an. Sämtliche Alarmglocken schrillten in meinem Kopf. »Wovon redet er, Emerson?«
»Es ist eine Fälschung«, erwiderte Emerson knapp. »Er weiß es. Offensichtlich wußte er es noch nicht, als er ihn erwarb. Wer hat Ihnen die Gewißheit verschafft, Renfrew?«
Renfrews leicht geöffneten Lippen entfuhr ein spröder, rasselnder Laut, sein Versuch eines Lachens, nahm ich an. »Ich dachte mir schon, daß Sie das bemerken würden, Emerson. Sie haben recht, ich hatte keine Ahnung, daß es sich um eine Fälschung handelte; ich wollte eine genaue Übersetzung und schickte deshalb eine Kopie der Inschrift an Mr. Frank Griffith. Neben Ihrem Bruder und Ihrem Sohn ist er der beste Übersetzer auf dem Sektor altägyptischer Texte. Sein Urteil war gleichlautend mit dem Ihren.«
»Aha.« Emerson warf den Skarabäus auf den Tisch. »Dann brauchten Sie doch gar keine weitere Beurteilung.«
»Ein vernunftgeprägter Mensch drängt immer auf eine zweite Stellungnahme. Wollen Sie nun den Skarabäus oder nicht? Ich habe nicht vor, durch diesen Kauf Geld zu verlieren. Ich werde ihn an jemand anderen verkaufen – ohne Griffith zu erwähnen –, und früher oder später wird man herausfinden, daß er nicht echt ist und, genau wie ich, seine Spur bis zu dem Verkäufer zurückverfolgen und dessen Namen in Erfahrung bringen. Ich glaube nicht, daß Ihnen das recht wäre, Professor Emerson. Sie halten doch große Stücke auf den Jungen, nicht wahr? Wie ich hörte, heiratet er sogar in Ihre Familie ein. Es wäre doch, gelinde gesagt, peinlich, wenn man ihn der Fälschung von Antiquitäten überführte.«
»Sie widerwärtiger alter … alter Halunke«, zischte ich. »Wie können Sie es wagen, David etwas Derartiges zu unterstellen?«
»Ich unterstelle gar nichts, Mrs. Emerson. Suchen Sie den Händler auf, von dem ich das hier erworben habe, und fragen Sie ihn nach dem Namen des Mannes, der ihm das Stück verkaufte.«
Aus Manuskript H
Ramses schreckte in seinem Sessel hoch, ließ seine Füllfeder fallen und fluchte.
»Ich habe angeklopft.« David verharrte auf der
Schwelle. »Hast du mich nicht gehört?«
»Ich versuche, das hier fertigzustellen.«
»Es ist bald Teezeit. Du hast den ganzen Tag daran gearbeitet. Und du hast das Tablett mit deinem Mittagessen nicht angerührt.«
»Fang du nicht auch noch an, David. Es ist schon schlimm genug, daß mir Mutter und Nefret ständig zusetzen.«
Stirnrunzelnd betrachtete er die akribisch zu Papier gebrachten Hieroglyphen. Die Füllfeder, die ihm nach Davids plötzlichem Auftauchen aus der Hand geglitten war, hatte ein Eulen-Symbol in ein schlangenartiges Ungeheuer mit einem langen Schwanz verwandelt. Er griff nach einem Blatt Löschpapier und entschied dann, die Tinte erst trocknen zu lassen, bevor er den Schaden ausbesserte.
»Du warst sehr krank. Wir waren alle sehr besorgt um dich.«
»Das liegt Monate zurück. Mittlerweile bin ich wieder völlig gesund. Ich brauche niemanden, der mich wie ein Kind dazu ermahnt, meinen Porridge zu essen und früh ins Bett zu gehen.«
»Nefret ist Ärztin«, warf David vorsichtig ein.
»Sie hat ihre Ausbildung nie beendet.« Ramses rieb sich die Augen. »Es tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint. Unter den frauenfeindlichen Voraussetzungen ist ihre Hartnäckigkeit hinsichtlich der Fortführung ihres Medizinstudiums bewundernswert. Ich wünschte mir nur, daß sie nicht
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