Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
finden. Ich kaufe auch ein Geschenk für Jack – von unserer Familie. Das wirkt unpersönlicher.«
»Sieh mal, Nefret –«
»Vertraust du mir etwa nicht?«
»Nein.«
»Diesmal kannst du es. Versprochen.«
6. Kapitel
Die Erfahrung zeigt, daß der einheimische Beamte weder das Stadium der intellektuellen Reife erreicht hat, die richtigen Entscheidungen zu treffen, noch die moralische Stärke besitzt, die Konsequenzen dieser Entscheidungen zu tragen.
Aus Briefsammlung B
»Es ist nett von Dir, so oft zu schreiben, liebste Lia, denn ich vermute, daß es eine ganze Reihe anderer Dinge gibt, die Du lieber machst. Ich liebe es, Deine Briefe zu lesen; Dein Glück spiegelt sich in jedem Wort, jedem Satz und jeder Erwähnung von Davids Namen. (Du erwähnst ihn recht häufig, weißt Du!)
Aber dein Glücksgefühl täuscht Dich, liebste Lia, wenn Du meinst, daß Du – wie drücktest Du es aus? – das Aufblühen neuer Interessen und Gefühle an mir festgestellt hast. Verliebte wollen stets, daß auch alle anderen verliebt sind! Manchmal wünsche ich mir, auch ich könnte so für jemanden empfinden – mich Hals über Kopf unsterblich und leidenschaftlich verlieben! In der Vergangenheit glaubte ich gelegentlich, daß es auch mich erwischt hätte – Du erinnerst Dich an Sir Edward und Alain K. und den einen oder anderen –, aber dieses Gefühl wurde im Keim erstickt, um bei Deiner blumigen Umschreibung zu bleiben. Du behauptest, daß es unvorhersehbar und nicht zu beeinflussen ist, also nehme ich an, daß ich nichts tun kann, um es zu umgehen oder zu provozieren. Ich hoffe nur, daß ich mich nicht unsterblich in jemanden wie Monsieur Maspero oder in unseren Koch Mahmud verliebe. Er hat schon zwei Ehefrauen. (Mahmud, nicht M. Maspero.)
Was meine derzeitigen Bewunderer – wie Du sie nennst – anbelangt, so werde ich Dir kurz berichten. Jack Reynolds hat nicht unbedingt zurückhaltend darauf hingewiesen – Zurückhaltung gehört nicht zu Jacks Charaktereigenschaften –, daß er um meine Hand anhielte, wenn ich ihn in irgendeiner Form ermutigte. Er erinnert mich an einen großen, tolpatschigen Hund, der mit einer Katze Freundschaft schließen will, aber keine Ahnung hat, wozu die Katze fähig ist. Wird sie kratzen oder schnurren, wenn er sie mit seiner riesigen, tolpatschigen Pfote anstupst? Zumindest weiß ich, daß Jack kein Hasardeur ist. Er und seine Schwester sind recht gut situiert. Ihr Großvater stellte irgendwelche Maschinenteile her. Jedenfalls meine ich, seine Vorstellung von der männlichen Überlegenheit bereits etwas angekratzt zu haben. Neulich erklärte er mir doch tatsächlich, daß ich ein putziges kleines Mädchen sei (!).
Die Freundschaft zwischen ihm und Geoff Godwin ist ungewöhnlich, da sie sowohl vom Charakter als auch vom Erscheinungsbild völlig unterschiedlich sind. Nein, Geoff ist überhaupt nicht weibisch! Du hast ihn im letzten Jahr kennengelernt, glaube ich, wenn auch nicht näher. Sein sanftes Gesicht und seine schmächtige Körperkonstitution sowie die Tatsache, daß er sich für Tiere und Blumen interessiert, haben Dich doch bestimmt nicht irreführen können? Seit kurzem leidet er an einer ziemlich unangenehmen Erkältung, trotzdem beharrt er darauf, daß ihm nichts fehlt, und wenn ich meine Besorgnis zum Ausdruck bringe, arbeitet er um so härter. Vor einigen Tagen ist während der Ausgrabungsarbeiten eine Wand eingestürzt, und er erschien als erster auf der Bildfläche, räumte Steine aus dem Weg und grub eigenhändig einen der Männer aus, der unter dem Schutt begraben lag.
Ich möchte rasch hinzufügen, daß das Opfer lediglich Beulen und Prellungen davongetragen hat. Etwas Derartiges passiert ständig, weißt Du. Ich habe es nur erwähnt, um Dir zu beweisen, daß Du Dich in Geoff getäuscht hast. Ich bin wirklich nicht verliebt, aber ich mag ihn und empfinde gelegentlich Mitgefühl für seine Situation. Nicht, daß er sich beklagte. Es war Jack, der mir zu verstehen gab, daß sich Geoffs Familie ihrem Sohn gegenüber absolut verständnislos verhalten hat. Sie sind alle Jagd- und Angelfanatiker, und er ist der Schwan in einer Familie häßlicher Enten – der einzige, der sich für Literatur, Dichtung und Kunst interessiert.
Maude ist nach wie vor eine Plage. Normalerweise gelingt es Ramses, mit solchen Problemen allein fertigzuwerden – ich weiß nur leider nicht, wie –, doch wenn ich ihn danach frage, antwortet er mir, daß ich mich um meine eigenen Belange kümmern soll!
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