Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
begeisterungsfähigen jungen Menschen unter Kontrolle behalten will.« Emersons Gesicht entspannte sich. »Peabody, manchmal redest du wirklich hanebüchenen Unsinn.«
»Deine Entscheidung, Ramses eine eigene und interessante Mastaba zu überlassen, ist nichts anderes, Emerson. Du möchtest, daß er zufrieden und glücklich ist und gar nicht erst auf den Gedanken kommt, wieder abzureisen, wie beispielsweise nach Petersburg, Capetown oder Lhasa.«
»Warum sollte er nach … Oh. Ich möchte die Grabfelder ohnehin inspizieren, Peabody. Trotzdem hast du recht; wir wollen, daß der Junge bei uns glücklich ist. Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, daß dazu mehr gehört als eine interessante Mastaba.«
Am darauffolgenden Tag fingen die Kinder mit der Arbeit auf den nördlich gelegenen Grabfeldern an. Daoud und mehrere unserer erfahrenen Männer begleiteten sie, und Emerson hatte dreißig unerfahrene Arbeiter und die gleiche Anzahl von Korbträgern mitgenommen. Nach Jacks Aussage hatte ihre Gruppe im vergangenen Februar eine große Mastaba in diesem Gebiet freigelegt. Jetzt fehlte jede Spur von ihr; der Treibsand hatte die Ruine erneut verschüttet. Wenn ich dieses Phänomen nicht gekannt hätte, hätte ich nicht geglaubt, wie rasch doch die kleinen Errungenschaften der Menschen von den Naturgewalten ausgelöscht werden können. Etwas erstaunt war ich, daß Mr. Reisner dieses Gebiet nicht weiter erforscht hatte, schließlich waren in seiner Mastaba Fragmente von Grabbeigaben mit der Inschrift eines bis dahin unbekannten Herrschers gefunden worden. Allerdings war das – verglichen mit den kostbar ausgestatteten Gräbern, die sich ihm in Gizeh präsentierten – unwichtiger Kram. Mit Sicherheit hätte er letztere keinem anderen Exkavator überlassen.
Zunächst suchte ich das schattige Plätzchen auf, das ich in der Nähe hatte einrichten lassen. Ich lege stets Wert darauf, daß ein Teppich, ein paar Stühle und ein Tisch an einem schattigen Ort bereitstehen, damit wir uns in den Pausen dorthin zurückziehen und ausruhen können. Unnötige Unannehmlichkeit ist ineffizient und darüber hinaus töricht. Normalerweise fand ich ein leeres Grab oder eine Höhle, doch diese Landschaft war so eben, daß ich mich mit einem Stück Segeltuch zufriedengeben mußte. Ich entledigte mich meiner Jacke und meines Sonnenschirms, rollte die Ärmel bis zum Ellbogen auf und öffnete meinen Blusenkragen. Im Innern einer Pyramide ist es immer sehr heiß.
Auf der Suche nach Emerson fand ich ihn bei Ramses und Nefret. Alle drei inspizierten einen der Pläne. »Hier ist es«, äußerte sich Emerson gerade und malträtierte den Bogen mit seinem Pfeifenmundstück. »Vergewissert euch, daß –«
»Emerson!« entfuhr es mir ziemlich laut, Emerson fuhr zusammen, ließ seine Pfeife fallen und fluchte. »Was willst du?« fragte er unwirsch.
»Dich. Du hast gesagt, daß ich heute ins Innere der Pyramide vordringen kann. Wenn du mich nicht begleiten willst, nehme ich Selim mit. Allerdings hielt ich es für angeraten, dich zu informieren, daß ich –«
»Ach, verflucht«, schnaubte Emerson. »Ich komme. Ich wollte doch nur –«
Ich drehte mich auf dem Absatz um und marschierte davon. Selim, der mich grinsend beobachtet hatte, hielt mit mir Schritt. Wir waren kaum zwei Meter weit gekommen, als Emerson zu uns aufschloß. Er wischte gerade seine staubige Pfeife an seinem Oberhemd ab. »Peabody«, hub er mit grollender Stimme an. »Laß Ramses allein, Emerson.«
»Ich wollte doch nur –«
»Besitzt er die Kompetenz für diese Arbeit?«
»Verflucht, ich habe ihn doch selbst ausgebildet!« »Dann laß sie ihn allein machen.«
Schweigend stapften wir nebeneinanderher. Schließlich meinte Emerson: »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, daß du das Licht meines Lebens und die Freude meines Daseins bist?«
»Und habe ich erwähnt, daß du der bemerkenswerteste Mann bist, den ich jemals kennenlernen durfte?«
Emerson schmunzelte. »Wir werden diese Stellungnahmen zu einem späteren Zeitpunkt vertiefen, meine Liebe. Im Augenblick kann ich meine Zuneigung vermutlich am besten unter Beweis stellen, indem ich dich in deine Pyramide führe.«
Als wir den Schacht erreichten, trafen wir auf eine unerwartete und unliebsame Überraschung.
Unsere Männer hatten die mit Geröll gefüllten Körbe per Hand hochgezogen, was bei zunehmender Tiefe des Schachts immer beschwerlicher wurde, bis Selim sein Konstruktionstalent unter Beweis gestellt und einen
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