Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
Moschee? Du hast wenig Phantasie, was? Sie müssen fortgeschafft werden. Ich werde mich persönlich darum kümmern. Diesmal werde ich über deine Gehorsamsverweigerung hinwegsehen, Rashad, sollte so etwas jedoch wieder passieren …«
Er ließ die Drohung im Raum stehen, wusste er doch, dass Rashad die entsprechende Phantasie besaß, um sich eine Reihe hässlicher Konsequenzen auszumalen, und schritt zur Tür. Rashad hatte sie nicht nur verriegelt, sondern zusätzlich einen Stuhl davor geschoben. Unter Rashads entschuldigendem Gestammel beseitigte er diese beeindruckende Verbarrikadierung und verschwand wortlos. Er nahm nicht an, dass Rashad den Nerv besitzen würde, ihm zu folgen, zumal er die Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatte, sich die Galabiya »auszuleihen«, die Rashad auf einem Stuhl bereitgelegt hatte, um sie am Morgen überzustreifen.
Weit und breit keine Spur von dem Kamel. Er verschwendete keine Zeit, es aufzuspüren; sicherlich blieb es nicht lange herrenlos und sein ursprünglicher Besitzer würde anonym und großzügig entschädigt werden. Im Grunde genommen war Ramses froh, das Vieh losgeworden zu sein. Es hatte den Gang eines dreibeinigen Maultiers, und es hatte versucht, ihn in die Wade zu beißen.
Er beschleunigte seine Schritte und erreichte die Moschee, als der Ruf zum Morgengebet verklang. Nachdem er Schuhe und Kopfbedeckung abgelegt hatte, betrat er das Innere, verharrte am Springbrunnen, um sich Gesicht, Hände und Arme zu waschen. Ramses sah nur wenige Gläubige, da die meisten das Gebet zu Hause vorzogen; und als er die vorgeschriebenen Haltungen einnahm und schließlich in der Nähe der linken Wand kniete, hoffte er, dass sein Handeln nicht als Gotteslästerung empfunden würde. Seine Hand glitt in die Wandöffnung, er ertastete Papier.
Der Zug brachte ihn zum Bahnhof von Gizeh. Da mittlerweile heller Tag war, würde man ihn höchstwahrscheinlich bemerken, ob er nun über das Spalier kletterte oder den Haupteingang nahm, also entschied er sich für Letzteres. Der Duft von gebratenem Speck stieg ihm verlockend in die Nase und er folgte ihm in den Frühstücksraum.
Die Vandergelts waren noch nicht aufgetaucht, aber Nefret hatte sich zu seinen Eltern an den Frühstückstisch gesellt. Als er eintrat, drehten sich alle um und starrten ihn an.
»Hast du deinen Spaziergang genossen?«, erkundigte sich sein Vater, ihm einen Vorwand liefernd, den er nicht brauchte.
Nefret gähnte herzhaft und legte ihre Hand vor den Mund. »So viel Tatendrang! Früh zu Bett und früh aufstehen … Ich hoffe, du fühlst dich besser, als du aussiehst.«
»Nett, dass du das sagst.«
»Du hast dunkle Schatten unter den Augen«, bemerkte Nefret. »Ausgesprochen malerisch, aber nach meinem Dafürhalten ein Anzeichen für Schlafmangel. Ich dachte, du wärst gestern Abend früh nach Hause gekommen.«
»Ich bin aber auch früh aufgewacht. Konnte nicht mehr einschlafen, deshalb habe ich einen ausgedehnten Spaziergang unternommen.« Fatima servierte ihm einen Teller Eier. Er dankte ihr und ermahnte sich im Stillen, den Mund zu halten. Er erklärte zu viel.
»Du hättest mit deinen Kräften haushalten sollen.« Sein Vater grinste heimtückisch. »Ich beabsichtige, den ganzen Tag zu arbeiten, also beeil dich und iss dein Frühstück.«
Ramses nickte gehorsam. Seine Mutter hatte keinen Ton gesagt, dennoch war ihm ihre heimliche Erleichterung nicht verborgen geblieben, als er das Zimmer betrat. Sie erschien ihm stets wie ein Soldat, selbst in sitzender Haltung; er fühlte sich wie ein Verräter, als er sah, wie ihre gestrafften Schultern zusammensackten und das beherrschte Gesicht etwas von seiner frischen Farbe verlor. Sein Handeln war zwar unfair gegenüber David und Nefret, aber brutal gegenüber seinen Eltern. Vielleicht gelang es ihm, sie mit seinen Neuigkeiten etwas aufzubauen.
Er musste sich gedulden, bis sie auf dem Weg nach Gizeh waren, ehe er die Gelegenheit bekam, mit seiner Mutter unter vier Augen zu sprechen. Sein Vater war mit Nefret vorausgeritten, und Ramses mäßigte Risha zu dem leichten Trab, den die Stute seiner Mutter vorgab.
»Ich weiß, wo er sie versteckt hat«, sagte er ohne Umschweife.
»War es der Mann, den du in Verdacht hattest?«
»Ja. Er wollte lediglich hilfsbereit sein! Eine fadenscheinige Ausrede, allerdings war er nicht in der Lage, klar zu denken.«
Im Gegensatz zu seiner Mutter. In mancher Hinsicht war sie zwar blind wie ein Maulwurf, aber hin und wieder traf sie den Nagel auf
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