Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
du, dass David –«
»Hier in Kairo ist?« Sie wandte sich von ihm ab, fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen, und rang ihre Hände. »In dem Moment, als ich ihn sah, wusste ich, dass der Mann, den wir gemeinsam mit Russell aufsuchen sollten, nicht Wardani war. Ich dachte, es muss Ramses sein, obwohl er sich anders bewegte, und dann fingierte Ramses dieses geschickte Alibi, und ich durchschaute das Ganze. Ich mache ihm keinen Vorwurf, dass er mich nicht eingeweiht hat; wie könnte er mir jemals wieder vertrauen, nach allem, was ich getan habe? Aber ihr müsst mir jetzt vertrauen, ihr müsst! Glaubt ihr, ich würde irgendetwas tun, um ihm zu schaden? Ihr müsst mir sagen, wohin er heute Abend gegangen ist.« Sie fiel auf die Knie, bevor Emerson sie daran hindern konnte. »Bitte! Ich flehe euch an.« Emersons ausdrucksvolles Gesicht spiegelte Kummer und Mitgefühl wider. Er half ihr auf. »Aber, aber, mein Schatz, beruhige dich und versuche mir zu erklären, was du damit meinst. Woher weißt du, dass Ramses in Gefahr ist?«
Inzwischen war sie etwas gefasster. Sie umklammerte seine starken braunen Hände, sah zu ihm auf und sagte schlicht: »Ich habe es immer gewusst. Seit unserer Kindheit. Ein Gefühl, eine Angst … ein Alptraum, dass ich schlafen könnte, wenn es passiert.«
»Deine Träume«, entfuhr es mir. »Waren sie –«
»Nur von ihm. Was vermutet ihr, warum ich in jener Nacht vor einigen Wochen so überstürzt heimkehrte? Ich bin unverzüglich in sein Zimmer gegangen, wollte helfen und …« Ihre Stimme erstarb in einem Schluchzen. »Es war eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich je getroffen habe, mich umzudrehen und zu gehen, so zu tun, als glaubte ich, er wäre unverletzt und nichts läge im Argen, aber wenigstens wusste ich, dass du bei ihm bist und dich um ihn kümmerst.« Sie faltete die Hände und sah mich durchdringend an. »Es war das schlimmste Gefühl, das ich jemals hatte, schlimmer noch als damals, als er sich in Riccettis Gewalt befand oder als er … Ich bilde mir nichts ein. Ich bin nicht hysterisch oder abergläubisch. Ich weiß es.«
Abdullahs Worte fielen mir wieder ein. »Es wird eine Zeit kommen, da du eine Warnung beherzigen musst, die nicht realistischer scheint als deine Träume.«
»Emerson«, schrie ich. »Er hat uns belogen, anders kann es nicht sein. Es ist heute Nacht. Irgendetwas ist schief gegangen. Was können wir tun?«
»Hmhm.« Emerson kratzte sich sein Kinngrübchen. »Ich weiß nur einen, der ihre Pläne für den heutigen Abend kennen könnte. Ich werde Russell aufsuchen.«
»Ruf ihn an«, drängte ich.
»Reine Zeitverschwendung. Er wird nichts preisgeben, solange ich ihm nicht direkt gegenüberstehe und die Wahrheit von ihm verlange. Wartet hier, meine Lieben. Ich werde euch informieren, sobald ich Näheres weiß.«
Er stürmte aus dem Zimmer. Wenige Minuten später hörte ich, wie der Motor des Automobils aufheulte. Erstmalig beunruhigte es mich nicht, dass Emerson selbst fuhr. Sofern er nicht mit einem Kamel kollidierte, würde er sein Ziel in Rekordzeit erreichen.
»Warte!«, rief Nefret erbittert. Sie sprang auf. Ich dachte, sie wolle Emerson folgen, und war im Begriff, sie zurückzuhalten, als sie an ihrem Kleid zerrte. »Hilf mir«, flüsterte sie. »Bitte, Tante Amelia.«
»Was hast du vor?«
»Ich will mich umziehen. Um bereit zu sein.«
Ich fragte nicht, wofür, sondern eilte ihr zu Hilfe.
Mein Verstand hatte Mühe, die verblüffenden Enthüllungen zu verarbeiten, die sie uns entgegengeschleudert hatte. Unter Einsatz meiner gesamten Willenskraft erwog ich deren Konsequenzen.
»Dann hast du also die ganze Zeit über gewusst, wie es sich mit Ramses und David verhielt? Und nichts gesagt?«
»Ihr habt mir nichts gesagt.«
»Ich konnte nicht. Ich war zur Geheimhaltung verpflichtet, genau wie er – er stand unter Befehl, wie jeder Soldat.«
»Das ist nicht der einzige Grund. Er fürchtete, ich könne ihn erneut hintergehen, wie schon einmal. Aber, gütiger Himmel, ich habe dafür büßen müssen! Ich habe ihn verloren und unser Baby und genau gewusst, dass ich allein dafür verantwortlich bin!«
Bislang hatte ich immer geglaubt, gegen Überraschungen gefeit zu sein, doch auf Grund dieser letzten Enthüllung bekam ich weiche Knie. Ich sank in den nächstbesten Sessel.
»Großer Gort! Heißt das, dass deine Fehlgeburt vor zwei Jahren, dass es … es war …«
»Sein Kind. Unser Kind.« Die Tränen auf ihren Wangen funkelten wie Kristalle.
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