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Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra

Titel: Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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Alabasterurnen in den Nischen um diese Jahreszeit mit Mistel- und Tannenzweigen gefüllt gewesen. Jetzt waren sie leer, das kühle Weiß der Wände und des Bodens ungemildert. An der Tür zum Salon wartete seine Mutter.
    Ihre Witwentracht stand ihr gut. Das Schwarz betonte ihr blondes Haar und die eisblauen Augen. Der weiche, dunkle Stoff fiel in anmutigen Falten bis zum Boden. Ungerührt, ihre Hände um die Taille gelegt, musterte sie ihn mit offenkundiger Missbilligung.
    »Zieh sofort deine nassen Sachen aus«, fuhr sie ihn an. »Du bist voller Schnee. Wie hast du –«
    Er wagte es, ihr ins Wort zu fallen. »Sag Thomas, dass er meine Anweisungen zu befolgen hat! Er weigerte sich, stehen zu bleiben und mich mit ihnen reden zu lassen – eine Frau, und ein Junge war bei ihr …« Er hielt den Atem an. Ihre Züge veränderten sich kaum merklich, doch wie alle jungen, verletzlichen Geschöpfe hatte er gelernt, die Bewegungen des Feindes zu erkennen. »Aber – das weißt du, nicht wahr? Sie waren hier. Du hast sie gesehen.«
    Sie senkte den Kopf.
    »Und du hast sie fortgeschickt – in einer solchen Nacht? Sie wirkte sehr zerbrechlich – krank, vielleicht –«
    »Sie hatte schon immer einen Hang zur Selbstzerstörung.«
    Er starrte sie an. »Du kennst sie?«
    »Sie war meine beste Freundin, beinahe wie eine Schwester. Bis sie die Geliebte deines Vaters wurde.«
    Die Worte waren so brutal wie ein Schlag ins Gesicht. Der Junge wurde blass.
    »Ich wollte dir diese Schande ersparen«, fuhr sie fort, ihn weiterhin fixierend.
    »Schande?« Er fand seine Stimme wieder. »Du redest von Schande, nachdem du sie in den Sturm hinausgejagt hast? Sie muss verzweifelt gewesen sein, sonst hätte sie dich nicht aufgesucht.«
    »Ja.« Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Er hat ihnen Geld geschickt. Bis er starb, natürlich. Ich weiß nicht, woher er es hatte.«
    »Ich auch nicht.« Er versuchte sie aus der Ruhe zu bringen, doch das gelang ihm nicht. Er war erst vierzehn – und ihre Temperamente so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. »Du hattest immer den Daumen auf dem Geldbeutel.«
    »Er hat meine Mitgift innerhalb eines Jahres verschleudert. Alles andere gehörte mir – dank der weisen Voraussicht meines Vaters.«
    Er stürmte zur Tür, riss sie auf und lief hinaus. Der Butler, der die Szene mitverfolgt hatte, hüstelte. »Mylady wünschen …?«
    »Schick ihm zwei der Diener nach. Sie sollen ihn in sein Zimmer bringen und einschließen und mir den Schlüssel aushändigen.«
1. Kapitel
    Ich entdeckte es auf dem Boden des Korridors, der zu unseren Schlafräumen führte. Ich stand da, hielt es mit spitzen Fingern fest, als Ramses aus seinem Zimmer trat. Er hob seine dichten dunklen Augenbrauen, als er bemerkte, was ich in der Hand hielt, dennoch schwieg er, bis ich ihn darauf ansprach. »Eine weitere weiße Feder«, sagte ich. »Deine, vermutlich?«
    »Ja, danke.« Er nahm sie mir aus den Fingern. »Sie muss mir aus der Tasche geglitten sein, als ich mein Taschentuch herausnahm. Ich werde sie zu den anderen legen.«
    Abgesehen von seinem tadellosen Englisch und einer gewissen unerklärlichen Perfektion in seinem Auftreten (ich sage immer, niemand schlurft so elegant wie ein Engländer) könnte der zufällige Betrachter meinen Sohn für einen der Ägypter halten, mit denen er den Großteil seines Lebens verbracht hat. Er hatte das gleiche wellige schwarze Haar, die dichten Wimpern, die bronzefarbene Haut. Andererseits hatte er sehr viel Ähnlichkeit mit seinem Vater, der gerade noch rechtzeitig aus unserem Schlafzimmer trat, um unserem Gespräch beizuwohnen. Genau wie Ramses trug er Arbeitskleidung: eine zerknitterte Flanellhose und ein kragenloses Hemd. Als sie nebeneinander standen, wirkten sie eher wie ein älterer und ein jüngerer Bruder und nicht wie Vater und Sohn. Emersons große, breitschultrige Statur war ebenso drahtig wie die Ramses’ und seine silbernen Schläfen unterstrichen den Glanz seiner rabenschwarzen Locken.
    Doch im Augenblick wurde ihre Ähnlichkeit durch ihr unterschiedliches Mienenspiel beeinträchtigt. Emersons saphirblaue Iris funkelte; die schwarzen Augen seines Sohnes waren kaum erkennbar unter den gesenkten Lidern. Emersons Brauen waren zusammengezogen, Ramses’ gehoben; Ramses’ Lippen waren fest zusammengepresst, Emersons hingegen enthüllten seine großen, ebenmäßigen Zähne.
    »Verflucht«, brüllte er. »Wer zum Teufel hat die Frechheit besessen, dich der Feigheit zu

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