Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
Ihnen?«
»Überhaupt nicht«, gestand Miss Nordstrom rundheraus. »Noch nie habe ich so viele Bettler und so viel Schmutz gesehen. Die Fremdenführer sind lästig. Und keiner dieser Halunken spricht Englisch! Ich war gegen unser Kommen, doch Major Hamilton wollte seine Nichte unbedingt in seiner Nähe haben. Er ist dienstlich hier. Kennen Sie ihn?«
»Ich habe von ihm gehört«, erwiderte Emerson. »Er ist im Ingenieurstab tätig, nicht wahr?«
»Er wurde gerufen, um den Beratungen hinsichtlich der Verteidigung des Suezkanals beizuwohnen, und er berichtet direkt an General Maxwell«, korrigierte Miss Nordstrom. Sie war offensichtlich stolz auf ihren Arbeitgeber, denn sie fuhr fort, uns in epischer Breite seine vergangenen Erfolge und seine gegenwärtige Bedeutung zu schildern.
Miss Molly blieb unbeeindruckt. Im Gegenteil – sie war gelangweilt. Ihr Gesicht hellte sich allerdings auf, als das einzig fehlende Familienmitglied mit hoch aufgerichtetem Schwanz hereinspazierte. Seshat stolzierte sogleich zu Ramses, der seine Hand ausstreckte.
»Bist du endlich aufgewacht?«, erkundigte er sich. »Nett von dir, dass du dich zu uns gesellst.«
»Oh, ist der schön!«, entfuhr es Miss Molly. »Gehört er dir, Ramses?«
»Molly!«, tadelte Miss Nordstrom. »Du bist aufdringlich!«
»Stimmt.« Ramses warf dem Mädchen ein nachsichtiges Lächeln zu. »Das ist Seshat, Molly. Eine Sie, kein Er, wenn es dir nichts ausmacht.«
Seshat ließ die Vorstellung über sich ergehen und sich streicheln – einmal. Dann kehrte sie zurück zu Ramses. Als sie Mollys betretenen Gesichtsausdruck bemerkte, sagte Nefret: »Magst du gern Tiere? Vielleicht möchtest du dir einmal unsere Menagerie ansehen?«
Miss Nordstrom lehnte die Einladung ab, und da ich die Frau ausgesprochen langweilig fand, begleitete ich Nefret und Miss Molly. Das arme kleine Geschöpf blühte förmlich auf, sobald wir den Salon verließen.
»Miss Nordstrom ist ziemlich streng«, meinte ich mitfühlend.
»Oh, Nordie meint es nur gut. Leider hat sie kein Verständnis dafür, wenn ich etwas Interessantes unternehmen will. Das hier ist das Schönste, was ich seit unserer Ankunft erlebt habe.«
»Was machst du denn für gewöhnlich?«, erkundigte sich Nefret.
Molly seufzte. »Schulaufgaben und Stadtrundfahrten, während Nordie mir aus dem Baedeker vorliest. Manchmal haben wir Gäste zum Tee. Kinder, meine ich. Da ich noch nicht in die Gesellschaft eingeführt wurde, darf ich mich nicht mit jungen Damen treffen. Und die Kinder sind so jung!«
Nefret lachte. »Und wie alt bist du?«
»Siebzehn.« Sie blickte von Nefret zu mir und wieder zu Nefret und stellte fest, dass wir ihr diesen kleinen Schwindel nicht abnahmen. »Nun … in ein paar Monaten werde ich sechzehn.«
»Fünfzehn?«, schlug Nefret mit hochgezogenen Brauen vor; ein Grübchenlächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Bist du sicher, dass du nicht vierzehn – oder dreizehn – oder –«
»Fast dreizehn«, gestand Molly kleinlaut und warf Nefret einen bitterbösen Blick zu.
Sie vergaß ihren Groll, als Nefret ihr die »Menagerie« zeigte. Narmer, der hässliche gelbe Mischling, den Nefret beharrlich als Wachhund bezeichnete, begrüßte uns wie üblich aufgeregt bellend, und wir mussten ihn in den Schuppen einsperren, damit er nicht jeden ansprang. Miss Molly interessierte sich nicht sonderlich für ihn (ich auch nicht), allerdings kniete sie sich vor einen Wurf Welpen, und als die kleinen Geschöpfe zu ihr krabbelten, strahlte sie vor Freude. »Sind die süß. Ich wünschte, ich könnte einen behalten.«
»Wir könnten deinen Onkel fragen, sollen wir?«, schlug Nefret vor. »Ich bin immer auf der Suche nach einem guten Zuhause für meine Streuner.«
»Er wird es Nordie überlassen und sie wird es verbieten. Sie denkt, Tiere sind schmutzig und machen zu viel Arbeit.«
Sie spielte noch immer mit den Welpen, als Ramses zu uns stieß. »Gefällt es dir hier?«, fragte er und lächelte zu ihr hinunter. »Tut mir Leid, wenn ich dich unterbrechen muss, aber Miss Nordstrom wollte, dass ich dich hole. Sie will unbedingt zurück nach Hause.«
»Dieses grässliche Hotel ist kein Zuhause.« Trotzdem hob sie die Welpen von ihrem Schoß und hielt Ramses ihre Arme hin. »Mein Fuß tut immer noch weh. Trägst du mich?«
»Ich kann keine Schwellung feststellen«, meinte Nefret, während sie fachmännisch den kleinen Fuß abtastete. »Ich hielte es für besser, wenn du ihn bewegen würdest. Komm, ich helfe dir
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