Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
wären nicht so vorsichtig, es sei denn, man hat sie gewarnt, nicht mit uns zu reden.«
»Ihnen vielleicht sogar gedroht«, räumte Nefret ein. »Er war nicht nur vorsichtig, er war regelrecht verängstigt.«
»Stimmt. Unser geschätzter Verwandter versteht sich bestens darauf, Leute zu terrorisieren. In seinen Glanzzeiten gab es nicht einen Händler in Ägypten, der ihm Paroli geboten hätte. Zur Hölle mit ihm.«
»Ja, mein Schatz.« Sie fasste seinen Arm. »Es ist noch recht früh, trotzdem könnten wir unser Mittagessen einnehmen – wir setzen uns auf die Terrasse des Winter Palace und beobachten die Passantenströme. Vielleicht ist Sethos in die Rolle eines Kellners geschlüpft.«
Das erheiterte ihn keineswegs. Die Hände in den Hosentaschen, den Kopf gesenkt, schlenderte er langsam weiter und murmelte abwesend: »Wie du willst.« »Wir könnten aber auch Abdul Hadis Geschäft aufsuchen und das Porträt mitnehmen. Du willst doch nicht wirklich einen neuen Rahmen dafür anfertigen lassen, oder?«
»Wofür? Ach so, für das Bild. Nein, ich …« Schlagartig blieb er stehen. »Hölle und Verdammnis!«
»Was ist denn?«
»Wir haben es dort gelassen.« Ramses schlug seine Faust in die andere Handfläche. »Wie blöd bin ich eigentlich? Komm weiter!«
Sie musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Der Ruf zum Mittagsgebet drang von der Moschee elGuibri, und als Ramses in das Geschäft stürmte, senkte Abdul Hadi soeben seine gichtgeplagten Knie auf den Gebetsteppich. Für Augenblicke fürchtete Nefret, ihr Gatte wäre zu aufgebracht, um den Anstand zu wahren, doch diese Furcht war unbegründet.
»Verzeihung. Ich komme wegen des Porträts meiner Mutter. Aber das hat keine Eile.«
Der liebenswürdige alte Herr schien verblüfft. »Aber … hast du es denn nicht mitgenommen? Gestern Abend? Heute Morgen stand es nicht mehr auf der Staffelei. Ich dachte …«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Nefret rasch. »Hab Dank. Salam alaikum!«
Sie zerrte Ramses aus dem Geschäft und schloss die Tür. Er drehte sich zu ihr. Seine Züge waren so hart wie Granit; gleichwohl scheiterte er in dem Bemühen, seine Stimme zu senken. »Weshalb lachst du?«
»Es ist doch lustig«, prustete Nefret. »Statt in die Dunkelheit zu fliehen wie ein anständiger Halunke, hat er ganz locker vor diesem Fenster ausgeharrt, bis wir … bis … Ach du meine Güte.«
»Unsere Vorstellung beendet war«, erwiderte ihr Mann heftig. »Er muss sie recht amüsant gefunden haben. Soweit ich mich entsinne, habe ich dir erzählt … Habe ich nicht auch …?«
»Das Savoy ist näher als das Winter Palace.« Sie nahm seinen Arm. »Ich empfehle dir einen ordentlichen Whisky oder ein Glas Wein.«
»Ich brauche keinen Alkohol.« Leise fluchend stapfte er neben ihr her. »Was ich brauche, ist eine Revanche. Nicht nur für gestern Abend, sondern für eine lange Reihe von Schmähungen.«
»Du kannst nicht …«
»Ich habe beileibe nicht vor, ihn zu foltern, Liebling. Ich möchte ihn demütigen und ihm eins auswischen. Endlich einmal!«
Bei der Erinnerung an einige Dinge, die sie gesagt – und getan – hatten, weil sie sich unbeobachtet glaubten, hatte Nefret gewissermaßen Verständnis für ihn, dennoch versuchte sie, gerecht zu bleiben. »Er hat uns nicht vorsätzlich belauscht. Er hat nur gewartet, um zu sehen, ob wir das Porträt dalassen würden.«
»Und jetzt hat er es. Wie sollen wir Mutter das erklären?«
Sie wählten einen Tisch im Garten des Savoy Hotels und bestellten. An der Wand hinter ihnen rankten die üppig blühenden Zweige der Bougainvillea und ein Spatz hüpfte auf den Tisch und blinzelte Nefret an. Sie fütterte ihn mit Brotkrumen aus ihrer Hand, bis er plötzlich davonflatterte, und als sie aufsah, stand Margaret Minton neben ihr.
»Darf ich mich zu Ihnen gesellen?«, bat sie.
»Wie haben Sie uns gefunden?«, erkundigte sich Nefret, sich dessen bewusst, dass Ramses’ Miene völlig ausdruckslos geworden war. Er erhob sich und bot der Journalistin einen Stuhl an.
»Mit den üblichen Methoden«, erwiderte Minton blasiert. »Bestechung und Bakschisch. Ich habe einige der Faulpelze auf dem Dock dafür bezahlt, dass sie mir berichteten, wenn Sie am Ostufer auftauchen. Ich bin Ihnen den ganzen Morgen gefolgt – ohne nennenswerte Aufschlüsse zu gewinnen, muss ich hinzufügen. Warum haben Sie die Antiquitätenhändler besucht? Es ist allgemein bekannt, dass der Professor niemals von ihnen kaufen würde.«
»Vater nicht,
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