Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Nein, man hatte ihn mit keinem Fremden gesehen, weder im Dorf noch woanders. Kurz gesagt, sie seien unwissend und unschuldig und darüber hinaus erleichtert über seinen Tod.
Allerdings hätten sie seine sterblichen Überreste beerdigt, weil das ihre religiöse Pflicht sei.
»Und weil sie nicht wollten, dass sein Geist bei ihnen herumspukte«, erklärte Emerson mir in Englisch. »Möchtest du ihn exhumieren, Peabody? Sehr wahrscheinlich ist er tief vergraben.«
»Dazu sehe ich keine Veranlassung, Emerson. Ich frage mich nur, was er mit der ersten, an ihn gezahlten Rate gemacht hat.«
»Er trug sie nicht am Körper.« Emerson fingerte an seinem Kinngrübchen. »Hmm. Wir wollen uns einmal umschauen.«
Emerson und Amherst – der sich wieder gefasst hatte, nachdem feststand, dass keine zerfleischten Leichen begutachtet werden sollten – entdeckten das kleine Bündel, versteckt in dem abbröckelnden Mauerwerk der Hütte. Während sie den Inhalt untersuchten, sah ich nach der alten Frau. Sie befand sich in einem bedauernswerten Zustand.
Opium führt zu Appetitlosigkeit, und sie hatte offenbar nicht einmal mehr die Energie, sich Wasser zu besorgen.
Durstig trank sie von meiner Wasserflasche, die ich ihr an die Lippen hielt, und dann sank sie seufzend zurück. »Mein Sohn ist tot, Sitt Hakim. Bald werde auch ich sterben. Ich will nicht mehr leben.«
»Es gibt andere, die sich um dich kümmern werden«, beschwichtigte Emerson sie. »Dafür werden wir schon sorgen.«
»Ah?« Sie hob den Kopf. »Dann will ich leben. Der Vater der Flüche hat es gesagt!«
»Wie fühlt man sich denn so als Halbgott, mit der Macht über Leben und Tod?«, erkundigte ich mich, nachdem wir den grässlichen Ort verlassen hatten. »Großartig«, grinste Emerson. Er hatte den Lumpen entfernt, in den das Geld eingewickelt gewesen war, und ich stellte fest, dass die Banknoten von der Ägyptischen Nationalbank stammten. »50 Ägyptische Pfund«, murmelte Emerson, während er zählte. »Das Schwein hat gut gezahlt. Davon wird die alte Dame für eine ganze Weile ihren Linsenbrei und ihr Opium bestreiten können.« Er gab das Geld dem Dorfältesten, der seine glasigen Augen aufriss, als er den Betrag sah, und dessen faltige Wangen sichtlich einfielen, als er Emersons Anweisungen vernahm. Zweifellos würde er Letztere befolgen, denn Emerson legte ihm seine Absicht nahe, von Zeit zu Zeit nach dem Rechten zu schauen. Dann fügte er beiläufig hinzu, dass er gut zahlen werde, sollte der eine oder andere sich an etwas Interessantes erinnern.
»Glaubst du, dass jemand uns etwas verschweigt?«, erkundigte ich mich, nachdem wir aufgesessen und den Rückweg nach Gizeh angetreten hatten.
»Das bezweifle ich, aber sollte es der Fall sein, würde er nicht im Beisein der anderen plaudern. Wir werden einfach abwarten müssen.«
Bei unserem Eintreffen hatte Fatima den Tee fertig und Daoud tat sich bereits an einer Platte mit Sandwiches gütlich. Dabei hatte Fatima ihm den letzten Klatsch kolportiert, und er platzte fast vor Wut über den unverschämten Schurken, der es gewagt hatte, Hand an die kleine Taube zu legen. Natürlich war er überzeugt, dass er das vereitelt hätte, wäre er nicht in Luxor gewesen. Wir schwiegen, bis er seinem Herzen Luft gemacht hatte, dann sagte Emerson: »Du hättest nicht an zwei Orten gleichzeitig sein können, Daoud. Wir haben dich nach Luxor geschickt, um herauszufinden, wie sich die Dinge dort entwickeln. Erstatte uns Bericht. Fatima, noch ein paar Schnittchen, wenn ich bitten darf.«
Daoud hielt seine Hand hoch. »Eins«, sagte er und hob einen Zeigefinger, doppelt so lang und breit wie meiner. Ohne Luft zu holen, rasselte er die Fakten herunter, die ihm, wie er hinzufügte, die Nur Misur aufgetragen habe. Er hatte soeben den zweiten Punkt abgehandelt, als Sennia ins Zimmer stürmte, uns alle umarmte und sich dann auf Daouds breitem Schoß niederließ. »Wie geht es ihnen allen?«, wollte sie wissen. »Geht es Bertie besser? Wissen sie, dass wir kommen?«
»Stimmt das?«, fragte Daoud verwundert.
»O ja, hat der Professor es dir nicht erzählt? Wir alle, morgen, mit dem Zug. Sag schon, wie geht es ihnen, Daoud? Vermissen sie mich?«
»Sehr sogar«, versicherte Daoud. »Mr Bertie geht es besser. Punkt drei. Er hat ein neues Interessengebiet gefunden. Ihr Name lautet Jumana.«
Ich zweifelte nicht daran, dass er diese Botschaft Wort für Wort wiederholt hatte. Es war nicht unbedingt das, was ich mir für Bertie
Weitere Kostenlose Bücher