Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
jeweiligen Charaktere unterschiedlich aus. Ich zum Beispiel brülle und fluche. Das ist die beste Methode, um sich davon zu befreien. Frauen sind … äh … sie denken anders als wir.«
Mein Gott, schoss es Ramses durch den Kopf, soeben wird mir der aufschlussreiche Vortrag zuteil, den Väter ihren Söhnen normalerweise vor der Hochzeit halten. Er ist ein bisschen spät dran. Mehr als ein bisschen. Ich denke, ich werde nicht ernst bleiben können, sollte er davon anfangen, wie …
»Ich stimme dir zu, Sir«, sagte er rasch.
»Du«, sagte sein Vater, bemüht, Ramses’ Blick auszuweichen, »versuchst gerecht und besonnen zu sein. Diesen Ansatz kann ich nicht empfehlen. Deiner Mutter beispielsweise gefällt das überhaupt nicht.«
Ramses fehlten die Worte. Augenblicke später fuhr Emerson fort: »Behalte deine Gedanken und Gefühle nicht für dich, mein Junge. Ich mache das nie und deine Mutter auch nicht, wir … nun ja, wir erörtern sie gründlich, verstehst du, und das ist nur gut so.«
»Vermutlich hast du Recht, Sir. Ich weiß deinen Rat zu schätzen.«
»Hmhm.« Mittlerweile war Emerson puterrot vor Verlegenheit. »Nur noch einen weiteren Rat. Gewähre dem anderen Burschen nicht immer die Gunst des Zweifels. Deine Instinkte leiten dich gut genug.«
»Was also schlägst du vor? Statt Kuentz die Hand zu schütteln, soll ich vor ihn treten und ihm einen Kinnhaken verpassen?«
Emerson grinste. »Die Idee ist nicht übel. Nun, das war alles, was ich sagen wollte.«
Er lockerte die Zügel und spornte sein Pferd zu einem leichten Trab an.
Ramses folgte ihm um einiges langsamer. Er war gerührt und erheitert über diesen Austausch; es fiel Emerson gewiss nicht leicht, über persönliche Empfindungen zu reden, aber wenn er es einmal tat, dann kam er direkt auf den Punkt und traf den Nagel auf den Kopf. Jetzt muss ich nur noch seinen Rat befolgen, sinnierte Ramses. Wenn ich kann.
War er zu erpicht darauf gewesen, Kuentz die Gunst des Zweifels zu gewähren? Die Beweislage spitzte sich zu. Ein weiterer Punkt gegen Kuentz, den bislang niemand erwähnt hatte, war die Tatsache, dass er zu den Zeiten, wenn die meisten Exkavatoren arbeiteten, häufig nicht bei den Ausgrabungen anzutreffen gewesen war. Ihr Gegner musste in diesen Tagen viel beschäftigt sein, bemüht, Sethos zu finden, ihre Aktivitäten nachzuverfolgen, seinen Fund zu bewachen. Wenn er heute nicht dort war …
Er war dort. Er beschäftigte eine Gruppe von zehn oder zwölf Männern, und gut 20 Quadratmeter waren freigelegt worden, seit Ramses das Gelände zuletzt gesehen hatte.
Er begrüßte sie wie gewohnt überschwänglich und schüttelte jedem die Hand, mit Ausnahme von Daoud, der seine Arme verschränkte und Kuentz bedrohlich stirnrunzelnd musterte. Emerson führte aus, dass Cyrus eine Ausgrabungsstätte suche.
»Wie steht es mit Ihnen, Professor?«, erkundigte sich Kuentz.
»Schon möglich. Wir haben beschlossen, noch eine Weile in Luxor zu bleiben.«
Kuentz unterbreitete eine Vielzahl von Vorschlägen. Sie beinhalteten beinahe jedes Gelände in Luxor. Waren die nicht Erwähnten von Bedeutung? Verflucht, wenn ich das wüsste, dachte Ramses bei sich, während er mit wachsendem Unmut beobachtete, wie Kuentz Leuten auf den Rücken schlug und dabei schallend lachte. Schließlich wechselte die Unterhaltung von fachlichen Dingen zu allgemeinem Geplauder. Wie kam Miss Minton mit ihrer Geschichte über Grabschänder voran? Er schuldete ihr eine Essenseinladung, allerdings würde er ihre Großzügigkeit nicht erwidern können; das Winter Palace sei zu teuer für einen armen, schwer arbeitenden Archäologen. Die Vandergelts müssten schon entschuldigen, dass er es versäumt habe, ihnen einen Höflichkeitsbesuch abzustatten; er werde sobald als möglich vorbeischauen. Wie ginge es Mrs Emerson? Hatte Nefret sich von ihrem Schreckerlebnis neulich erholt?
»Ich fühle mich verantwortlich«, erklärte er gegenüber Emerson.
»Dafür besteht kein Anlass«, erwiderte Emerson. »Das von Ihnen erwähnte Grab war ohnehin leer, glaube ich.«
»Außer ein paar Knochen von römischen Mumien. Sie sahen aus, als hätte jemand auf ihnen getanzt«, erwiderte Kuentz und brach erneut in schallendes Gelächter aus. »Zähne und Knochen und Leinenstreifen.« Abrupt wandte er sich um. »Was machst du da?«, herrschte er einen der Arbeiter an, der einen Gegenstand hochhielt, anscheinend ein zerbrochener Topf. »Ich habe dir ausdrücklich gesagt, dass du nichts entfernen
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