Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Forschertypen verhalten sich sehr töricht. Wir können herumfragen. Wenn er einige von den Dorfbewohnern angeheuert hat, werden wir es erfahren.« Schweißperlen rollten über ihr Gesicht. Er war sich bewusst, dass ihre Kehle genauso staubtrocken sein musste wie seine und dass sie sich nach frischer Luft sehnte, dennoch fesselte ihn das eigentümliche, kleine Kryptogramm.
»Woran erinnert es dich?«, flüsterte er.
Nefret blinzelte unter schweißfeuchten Wimpern und wischte sich die Augen mit einem Taschentuch. »An irgendetwas. Ich komme nicht darauf … Oh, ich weiß! Es ist wie das Yin-und-Yang-Symbol – die gegensätzlichen Kräfte, maskulin und feminin, dunkel und hell, die die Welt ausmachen. Vielleicht ist unser umtriebiger Tourist ein Chinese.« »Jemand will auf sich aufmerksam machen, ganz bestimmt. In Ordnung, mein Schatz, es geht abwärts. Sei vorsichtig.«
»Du auch.« Ihren Fuß bereits auf der obersten Holzlatte, lächelte sie zu ihm auf. »Du kannst mein Handgelenk loslassen.«
Ramses wartete, bis sie den Boden erreicht hatte, ehe er mit dem Abstieg begann. Eine nähere Untersuchung des seltsamen kleinen Symbols hatte ihm nichts dokumentiert, was er nicht bereits wusste oder vermutete. Er hatte es gegenüber Nefret nicht erwähnt, weil er sie keinesfalls beeinflussen wollte. Wenn sie unabhängig von ihm zu der gleichen Schlussfolgerung kam, würde das seine bestätigen. Man konnte es nicht einmal eine Theorie nennen, noch nicht. Es gab noch nicht genug Fakten. Er wusste, was er suchte, war sich aber unschlüssig, wie er vorgehen sollte.
7. Kapitel
Während wir das grässliche Ding anstarrten und Ismail in der Ecke schniefte, mit dem Rücken zum Geschehen, sagte Emerson: »Das bedarf der dringenden Erwägung, ob wir Russell konsultieren sollen oder nicht. Die Polizei wird davon erfahren müssen.«
Eigentlich hatte ich nichts gegen einen kleinen Plausch mit Mr Thomas Russell, dem stellvertretenden Polizeikommissar. Ich glaubte ihn nicht einmal allein verantwortlich für den Umstand, dass mein Sohn beinahe zu Tode gekommen wäre (eine ganze Reihe anderer Leute waren indes davon überzeugt, einschließlich Ramses selber), aber ich hatte bislang auch noch keine Gelegenheit gehabt, meine Gegenbeschuldigungen so massiv anzubringen, wie mir das vorschwebte.
»Es ist das übliche Procedere, wenn man eine Leiche entdeckt hat«, bemerkte ich.
»Hmmm, ja. Sollen wir ihn anrufen oder jemanden hinschicken?«
»Letzteres, denke ich. Wir müssen hier bei dem Leichnam bleiben.«
»Es ist nicht notwendig, dass wir beide hier bleiben. Du gehst zurück zum Haus und …«
»Du gehst.«
»Pah«, schnaubte Emerson. »Also gut. Selim!«
Selim befand sich in Hörweite – mittlerweile hatten sich die meisten unserer Männer um uns gescharrt, angelockt von Ismails Geheul –, aber Emerson brüllte aus alter Gewohnheit. Selim war genauso wenig willens wie wir, den Schauplatz des Geschehens zu verlassen, also erklärte er einen der anderen Männer zum Boten, und Emerson kritzelte eine Notiz auf eine Seite aus seinem Exkavationsjournal. »Russell: Habe Leichnam in Gizeh gefunden. R. Emerson.«
»Ist das alles, was du ihm dazu zu sagen hast?«, erkundigte ich mich.
»Was gibt es da noch zu sagen? Alles andere wäre reine Mutmaßung. Russell hält sich für einen Detektiv, soll er doch herkommen und die Sache aufdecken.« Widerwillig zog der Bote los, und die anderen Männer blieben stehen und beobachteten gespannt, wie Emerson sich neben den Leichnam hockte. Ich wusste, was er vorhatte, und war froh, es ihm überlassen zu können. An Mumien habe ich mich gewöhnt, auch wenn ich sie nie sonderlich mochte, und ich bin einer ganzen Reihe frischer Leichen begegnet, aber diese hier schien mir beileibe nicht mehr frisch.
Statt Emerson diesen Schwachpunkt einzugestehen, sann ich auf einen praktischeren Einwand. »Wenn du diese Leiche komplett ausgraben willst, Emerson, solltest du deinem eigenen Berufsethos folgen. Als Erstes brauchst du mehr Licht.«
Emerson musste mir zustimmen. Der Leichnam lag im Schatten der Wand und nur eine einzige Taschenlampe verströmte ihr schwaches Licht. Während er seine eigene Taschenlampe hervorkramte und Selim zeigte, wohin er leuchten sollte, fand ich eine der Bürsten, die wir für die Freilegung zerbrechlicher Gegenstände benutzen. Er ließ sich dazu herab, auch diese anzunehmen. Eigentlich wäre es nicht erforderlich gewesen, dass er die Fliegenlarven erwähnte.
»Aber das ist
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