Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
mir fest vor, sie umgehend reinigen zu lassen.) »Man hat ihm die Kehle durchtrennt. Der arme Teufel hat seinen Mörder vielleicht gar nicht gesehen; jemand, der von vorn angegriffen wird, wirft normalerweise schützend die Hände vors Gesicht, aber seine Hände und Unterarme sind unversehrt. Keinerlei Hautpartikel oder eingetrocknetes Blut unter den Nägeln …«
»Dann war es ein schneller und relativ gnädiger Tod«, murmelte ich. »Dem Himmel sei Dank.«
»Pah«, schnaubte Emerson. Das ist seine übliche Reaktion auf die Erwähnung des Allmächtigen oder des Himmels. In gebückter Haltung inspizierte er den Boden. »Es gibt keinerlei Spuren von Blut oder anderen Flüssigkeiten unter der Leiche – ein weiterer Anhaltspunkt, dass er woanders getötet wurde. Ich schätze, er ist seit mindestens zwei oder drei Tagen tot. Schwer zu sagen, wo er während dieses Zeitraums war.«
»Dann wurde er also vor dem gestrigen Abend getötet. Der Angriff auf uns diente nicht dazu, ihn an einer Kontaktaufnahme zu uns zu hindern.«
»Solange unsere Angreifer und sein Mörder nicht in irgendeiner Verbindung stehen. Allerdings erscheint mir das eher unwahrscheinlich.«
»Du beeilst dich besser, Emerson. Russell wird bald auftauchen, und es ist bereits so dunkel, dass du kaum noch siehst, was du tust.«
Als Russell eintraf, hatte sich samtene Dunkelheit über Ägypten gebreitet. Sterne funkelten am Himmel über Kairo. Der Mond war aufgegangen; obschon er bereits wieder abnahm, leuchtete er noch hell. Russell wurde von drei seiner Männer begleitet. Unsere Leute waren gegangen, mit Ausnahme von Selim und Daoud. Ich schickte William fort, da er sich ständig übergeben musste. »Was hat Sie aufgehalten?«, wollte Emerson wissen. »Ich möchte diese Sache aus der Hand genommen bekommen und nach Hause gehen zum Essen.«
Russell zog seinen Hut. »Guten Abend, Mrs Emerson – Professor. Verzeihen Sie meine Verspätung. Ich war nicht im Büro.«
»Vermutlich wieder Kricket oder irgendein anderes saublödes Spiel im Sportclub gespielt«, brummte Emerson. »Also, schaffen Sie ihn fort. Wir haben ihn hübsch verpackt für Sie.«
Russell ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die liegende Gestalt gleiten und inspizierte sie. »Er ist Ägypter.« »Brillant kombiniert!«, entfuhr es Emerson.
»Sei nicht so unverschämt«, tadelte ich ihn.
»Die Unterhaltung mit Ihnen, Professor, ist eine hervorragende Übung zur Selbstkontrolle«, räumte Russell ein. »Ich habe mir geschworen, dass ich mich nie wieder von Ihnen provozieren lasse, also treiben Sie es nicht zu weit. Wie ich sehe, haben Sie den Leichnam bewegt. Welche ungebührlichen, wenn nicht sogar ungesetzlichen Handlungen haben Sie noch begangen?«
Die unterschwellige Ironie übergehend, schilderte Emerson, wie und wo wir die sterblichen Überreste entdeckt hatten. Russell unterbrach ihn nicht, aber ich hörte, wie sein Atem beschleunigte.
»Sie haben Fotos gemacht? Nun, das ist doch etwas. Irgendwelche Hinweise auf die Identität des Mannes oder seines Mörders?«
»Ich habe das Geröll unter seinem Körper und im näheren Umkreis durchgesiebt«, antwortete Emerson. »Der Mörder hat weder Name noch Adresse hinterlassen. Allerdings kann ich das Opfer für Sie identifizieren. Sein Name – sein Deckname – lautete Asad.«
Nach einer Weile sagte ich: »Aber, aber, Mr Russell, Ihre Selbstkontrolle läßt wirklich zu wünschen übrig. Eine solche Ausdrucksweise!«
Russell hatte sich über den Leichnam gebeugt und inspizierte das grässlich verunstaltete Gesicht intensiver. »Es könnte sein«, murmelte er.
»Wir haben die Brille gefunden«, meinte mein Gatte.
Russell entriss ihm das verbogene Gestell. »Gibt es noch etwas, was Sie zu erwähnen vergaßen? Wie haben Sie beispielsweise einen Mann wiedererkannt, den Sie erst einmal gesehen haben und dessen gegenwärtiger Anblick sicher nicht … äh … lebensnah ist?«
»Da wir gerade davon sprechen«, entgegnete Emerson, die Hände in die Hüften gestemmt, die Schultern gestrafft, seine Brauen bedrohlich zusammengezogen, »wie kam es überhaupt dazu, dass Sie es versäumt haben, uns von Asads Flucht in Kenntnis zu setzen?«
»Hört auf zu brüllen, beide!«, entrüstete ich mich, denn die Beamten, die den Befehlen ihres Vorgesetzten harrten, lauschten mit offenem Mund. »Schaffen Sie die Leiche fort«, wandte ich mich an besagte Herren. »Unverzüglich. Mr Russell wird in Kürze zu Ihnen stoßen.«
Selbstverständlich
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