Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
weiteren Verpflichtungen zählte auch, dass sie sich von den diversen Familienmitgliedern fürstlich bewirten ließen. Als sie eines Abends auf die Amelia zurückkehrten – zuvor hatte Yusuf ihnen zu Ehren ein nicht enden wollendes Mahl aufgetischt –, warf sich Nefret auf den Diwan im Salon und stöhnte.
»Ich kann doch nicht immer nur essen! Hast du gesehen, wie finster Jumana uns angeschaut hat? Wir haben ihr versprochen, dass sie mitkommen darf, und uns nicht daran gehalten.«
»Ich will verflucht sein, wenn ich Gewissensbisse habe, weil ich mich nicht mit diesem Kind auseinandersetze.«
Ramses streckte sich neben ihr aus und grübelte, ob er je wieder etwas essen könnte. »Aber vielleicht wird es wirklich Zeit, dass wir an die Arbeit gehen.«
»Wir haben doch ständig gearbeitet«, protestierte Nefret. »Denk an all diese von Fledermäusen belagerten Gräber, die wir inspiziert haben.«
»Alle ziemlich oberflächlich. Wir sind nicht einmal am Ostufer gewesen.«
Nefret zog ihre Füße an und kniete sich neben ihn.
»Warum sollten wir? Die Grabstätten sind alle am Westufer.«
»Nun, wir könnten mit Legrain reden. Seine Lagerräume wurden ausgeraubt. Und wir könnten versuchen, den Antiquitätenhändlern Angst einzujagen.«
»Aber erst in ein bis zwei Tagen. Wir haben noch eine Menge Gräber vor uns.« Ihre Finger glitten durch sein Haar, streichelten seine Schläfen. »Hast du Kopfweh?«
»Nein, aber mach ruhig weiter. Ach übrigens, ich vergesse ständig zu fragen – war irgendwas Interessantes in der Post?«
»Nicht viel.«
»Nichts von Mutter?«
»Ach ja. Aber es waren nur familiäre Neuigkeiten. Wenn du dich umdrehst, massiere ich dir den Rücken.«
»Es ist nicht unbedingt mein Rücken, der eine Massage braucht«, murmelte Ramses und rollte sich auf den Bauch. Nefret brach in Lachen aus. Er drehte den Kopf, sah sie erstaunt an und lachte ebenfalls. »So habe ich das nicht gemeint.«
»Nein? Nun, wir werden sehen.« Sie schob sein Hemd hoch und strich mit leichtem Druck über seine Rippen.
»Was hat Mutter geschrieben?«, erkundigte er sich.
»Schließ die Augen und entspann dich.«
»Ich bin schon völlig apathisch. Zumindest war ich es, bis du damit angefangen hast … Hat sie irgendetwas Negatives über mich zu Papier gebracht, ist es das, warum du mir nichts erzählen willst?«
»Meine Güte, hast du ein einfältiges Gemüt. Ich versuche mich gerade zu erinnern. Warte mal … Sennia gefällt es in der Schule; Mutter hat den Disput zwischen Gargery und Fatima ausgeräumt – sie servieren abwechselnd –, und sie ist wütend, weil der Professor nicht zulässt, dass sie die Pyramiden der Königinnen erforscht. Sie hatte gerade den Brief bekommen, den ich am Tag unserer Ankunft zur Post brachte, und sie sind erpicht darauf zu erfahren, was wir hier vorgefunden haben. Wir sollten ihnen wirklich schreiben.«
»Kann ich ihn sehen?«
»Wen sehen? Mutters Brief? Wenn du ihn findest. Du hast wie üblich überall deine Schriftstücke und Bücher verstreut. Oh, fast hätte ich es vergessen – die Vandergelts kommen her. Bertie hatte eine Lungenentzündung und die Ärzte haben ihm einen Winteraufenthalt in Ägypten empfohlen. Sie könnten jetzt jeden Tag eintreffen. Da war noch ein Brief von Lia. Mutter hat ihn mitgeschickt. Das Baby hatte eine Erkältung, nichts Ernstes, aber sie berichtet von jedem Nieser, jedem Schniefen! Davids Bein geht es besser; die Ärzte glauben, dass es letztlich wieder voll einsatzfähig wird.«
Sie hielt inne, um Atem zu schöpfen. »Das ist erfreulich. Solange er nicht denkt, dass er bereits wieder so gut auf den Beinen ist, um herzukommen. Hast du Lia in letzter Zeit geschrieben?«
»Das müsste ich dringend tun«, gestand Nefret. »Du solltest Vater informieren; er wird schon ungeduldig sein, weil er wissen will, welche Fortschritte wir bei unseren Nachforschungen gemacht haben.«
Sie dehnte den Satz, betonte genüsslich jede Silbe. Ramses lachte.
»Nicht einmal Vater dürfte Ergebnisse innerhalb von zwei Tagen erwarten. Allerdings wird er wissen wollen, dass Tetisheris Grab unversehrt ist. Ich werde ihm heute Abend schreiben, es sei denn, du möchtest das übernehmen.«
»Es wird ohnehin an mir hängen bleiben«, erwiderte Nefret. »Wie immer.«
»Armes Mädchen. Wie schrecklich dein Leben doch ist.«
»Willst du heute Abend wirklich Briefe schreiben?«
Darauf drehte er sich auf die Seite und zog sie in seine Arme.
8. Kapitel
Aus Manuskript H
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