Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Totentempel errichten lassen, in der Nähe des früheren Tempels aus der Elften Dynastie. Die zerstörten Monumente anderer Könige erstreckten sich am Rande des Kulturlands. Nur wenige von ihnen waren entsprechend freigelegt worden. Darüber hinaus gab es die Privatgräber. Sie waren in die Felsen gehauen und gruppierten sich um Gurneh, Dra Abul Nagga und Deir el-Medine. In der verfallenen Gegend hinter den Klippen lagen östlich und westlich das Tal der Könige sowie das Tal der Königinnen und Dutzende kleinerer Wadis, in denen sich noch unentdeckte Gräber befinden konnten. Es war ein Reichtum mit Hindernissen, eine lebenslange Schatzsuche, ohne jede Karte und mit wenig Anhaltspunkten. Das Asasif selber war ein reiches Gebiet – vom archäologischen Standpunkt aus betrachtet. Ramses beneidete die Met-Leute um ihre Konzession, gleichwohl räumte sogar sein Vater ein, dass sie hervorragende Arbeit leisteten.
Ambrose Lansing, ein schlanker, dunkelhaariger Mann mit gepflegtem, kleinem Schnauzbart, leitete eine Exkavationsmannschaft in einem Gebiet am Fuß des AsasifMassivs. Als einer seiner Männer auf sie deutete, sprang er auf und ging ihnen zur Begrüßung entgegen.
»Wir haben schon gehört, dass Sie in der Stadt sind. Schön, Sie zu sehen.« Neugierig maß er Jamil und Jumana, die in einiger Entfernung stehen geblieben waren, und grinste dann. »Wie ich sehe, hat Yusuf Ihnen seinen über alles geliebten Sohn aufgehalst. Wer ist das Mädchen?«
Nefret erklärte es ihm. »Darf ich daraus schließen, dass Sie nicht allzu viel von Jamil halten?«
»Er hat für praktisch jeden Ägyptologen in Luxor gearbeitet«, erwiderte Lansing. »Um den Begriff ›arbeiten‹ einmal locker zu verwenden … He, George, komm her, ich möchte dich mit den Emersons bekannt machen.«
Der von ihm Angesprochene hatte auf Anweisungen gewartet; er war offensichtlich ein Untergebener und, wie Lansing ausführte, ein Neuzugang in seiner Mannschaft. Er war um einiges größer als sein Vorgesetzter und seine Züge riefen automatisch Begriffe wie »runzlig« und »zerknittert« ins Gedächtnis, doch als er langsam hinzutrottete, erkannte Ramses, dass er noch jünger war als Lansing. Barton stierte Nefret bewundernd an und sann fieberhaft auf Worte, die zum Ausdruck brachten, wie geehrt er sich fühlte, dass er Ramses kennen lernte, dessen Buch über die ägyptische Grammatik …
»Nett, dass Sie das sagen«, unterbrach Ramses ihn und fühlte sich schlagartig steinalt. »Gefällt Ihnen Ägypten?«
»O ja, Sir!« Barton strich sich das verschwitzte, aschblonde Haar aus den Augen. »Ich war schon am Westufer und in den Tempeln von Karnak und Luxor – in meiner Freizeit, meine ich.«
»Jeder weiß, dass ich ein Sklaventreiber bin«, schmunzelte Lansing. »Kommen Sie, schauen Sie sich um. Ich denke, es wird Sie interessieren …«
Erst als Nefret Anzeichen von Ungeduld spüren ließ, dämmerte Ramses, dass sie seit über einer Stunde dort weilten und er noch nicht die Diebstähle zur Sprache gebracht hatte. Wie von ihr prophezeit, war Lansing nicht in der Lage, ihnen nützliche Informationen zu geben. »Wir haben nur wenig gefunden, was Diebe anlocken könnte. Da müssten Sie mit MacKay sprechen; der arme Teufel bewacht vermutlich sämtliche Grabstätten in Theben, und das mehr oder weniger allein.«
»Wir haben ihn gestern aufgesucht«, räumte Ramses ein.
»Oder Alain Kuentz.«
»Ein Deutscher?«, fragte Ramses erstaunt.
»Schweizer«, korrigierte Lansing. »Sie kennen ihn nicht? Er hat vor Jahren mit den Ausgrabungen in Deir el-Medine angefangen. Das war nach Ihrem Aufbruch, daher haben Sie ihn vielleicht nie kennen gelernt. Ich erwähne ihn deshalb, weil er vor kurzem einen der Dorfbewohner auf frischer Tat ertappt hat, als dieser in ein Grab hinter dem Ptolemäischen Tempel einzudringen versuchte.«
»Wer war das?«
Lansing zuckte die Schultern. »Da müssen Sie Kuentz fragen. Ihm war klar, dass es sinnlos wäre, die Polizei zu rufen, also verpasste er dem Burschen eine Tracht Prügel und verjagte ihn von dem Hügel.«
»Genau die Methode, die auch der Professor vorzieht«, warf Nefret ein. »Wir werden ein wenig mit Alain plaudern. Ich wusste nicht, dass er wieder in Luxor ist. Es war schön, Sie wiederzusehen, Mr Lansing, und Sie kennen zu lernen, Mr Barton. Wir wollen Ihre kostbare Zeit nicht überbeanspruchen.«
Lansing war noch jung, etwa Anfang zwanzig und ledig. Er begleitete sie zu ihren Pferden und bestand darauf,
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