Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
brachten ihnen Opfergaben.«
»Sie haben den Statuen Kleider angezogen?«, fragte Jumana ungläubig.
»Feinstes, königliches Leinen, Goldschmuck und wertvolle Juwelen. Die Opfergefäße waren ebenfalls aus den kostbarsten Materialien – das nehmen wir zumindest an.« Er setzte noch hinzu: »Die Nahrungsmittel verzehrten die Priester, nachdem die Gottheit gesättigt war.«
Jamil stand an einen umgestürzten Pfeiler gelehnt, die Arme verschränkt, die Lider halb geschlossen. Seine offensichtliche Langeweile animierte Ramses zum Fortfahren. »Die bedeutendsten Schreine befanden sich in den Tempeln von Karnak und Luxor, doch die Götter, vor allem Amun-Re, waren auch in vielen anderen Tempeln präsent. Er ist viel herumgekommen; seine Statue wurde jedes Jahr von Karnak nach Luxor gebracht und er hat auch sein Sanktuarium in Deir el-Bahari besucht. Der Anblick muss beeindruckend gewesen sein: die goldenen Barken, auf denen sie ihn trugen, die Massen ergebener Anbeter, die den Weg säumten.«
Jamil legte eine Hand auf seinen Mund, vermutlich, um ein Gähnen zu verbergen.
»Wo werden wir morgen hingehen?«, fragte Jumana, als sie den Rückweg antraten.
Sie war sicher, dass sie mit von der Partie sein würde. Er brachte es nicht übers Herz, sie abzuweisen, vor allem, da Nefret ihn beobachtete.
»Ins Westtal, denke ich.«
»Mr Carter wird das nicht gefallen«, warf Nefret ein.
»Ich habe nicht vor, ihm sein verdammtes Grab streitig zu machen, ich will lediglich sehen, ob sich Hinweise auf neuere Aktivitäten finden lassen.«
»Hör auf zu fluchen«, sagte Nefret und imitierte gekonnt die Stimme seiner Mutter. Lachend fügte sie hinzu: »Du klangst auf alarmierende Weise wie der Professor.«
»Gütiger Himmel, im Ernst? Im Gegensatz zu Vater, der nichts lieber täte, als sich in die Exkavation eines anderen einzumischen, meinte ich exakt, was ich gesagt habe. Wir werden uns morgen auf den Weg machen.«
Als sie die Amelia erreichten, händigten sie die Pferde Jamil aus, und Ramses sagte: »Was ist mit einem Tapeten- und Küchenwechsel heute Abend? Maaman kocht hervorragend, aber es wird ein bisschen eintönig. Wir könnten im Winter Palace oder im Luxor dinieren und vielleicht eine Zeitung kaufen. Wir sind schon seit Wochen nicht mehr auf dem Laufenden.«
»Nicht heute Abend. Macht es dir etwas aus? Ich bin ein wenig erschöpft und wir sollten wirklich ein paar Briefe schreiben.«
Aus Briefsammlung T
Liebe Mutter, lieber Vater,
ich bin untröstlich, dass wir bis jetzt nur wenig berichten können, außer der allerwichtigsten Sache – Tetisheri ist sicher! Nicht einmal eine Fledermaus könnte diese Eisentore passieren, obschon irgendein blöder Tourist – derselbe, der sein sonderbares, kleines Kryptogramm überall in Amarna hinterließ – Kopf und Kragen riskiert hat, um auf – oder, besser gesagt, in – die Felsspalte zu klettern. Es war ein schauerliches Erlebnis, dort unten in der dunklen, leeren Grabkammer zu stehen und sich all der Aufregung in jener fantastischen Saison zu erinnern. Es gibt nichts Vergleichbares in Luxor, oder? Wir haben mit M. Legrain und Mr Lansing und einigen anderen gesprochen, jedoch nichts Aufschlussreiches erfahren. Allerdings habe ich jetzt eine Schutzbefohlene. Ich hatte noch nie eine! Sie ist Yusufs Tochter, ein cleveres und hübsches kleines Ding, das unbedingt Ägyptologin werden will. Yusuf hat sich einverstanden erklärt, dass sie uns zu den unterschiedlichen Ausgrabungsstätten begleiten darf. Er denkt, es handelt sich um eine vorübergehende Laune, und ich sehe keine Veranlassung, ihm meine Pläne zu unterbreiten, bis ich sicher sein kann, wie sie sich entwickelt; aber bereitet euch schon einmal auf vehemente Beschwerden aus Luxor vor, falls und wenn ich sie unter dem väterlichen Dach weghole.
Ihr Bruder Jamil ist unser offizieller Begleiter. Auch er ist hübsch, aber bei weitem kein heller Kopf, dafür eitel wie ein Pfau. Gleichwohl sehen wir keine Möglichkeit, ihn loszuwerden, ohne Yusuf zu brüskieren. Das war’s an Neuigkeiten, außer dass wir ständig Magendrücken haben! Du kennst ja die Familie. Es ist spät geworden, ich muss schließen. Da kommt Ramses.
Liebe Mutter, lieber Vater,
Nefret hat die wichtigsten Punkte abgedeckt. Sonst gibt es bislang nichts zu berichten, aber wir werden euch auf dem Laufenden halten. Bedauerlich, das mit Bertie.
Ich bin sicher, Mutter wird ihn bald kurieren.
Euer liebender Sohn
Ramses
Liebe Mutter, lieber
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