Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
und Selbstaufopferung. Ich kannte dieses Stück sehr gut. Nefret hatte es an jenem Abend gespielt, als wir die Nachricht erhielten, dass Johnny, unser geliebter Neffe, auf dem Schlachtfeld gefallen war.
Ramses erhob sich und bot Nefret seine Hand. Ich weiß nicht, was ihn dazu bewog, zu diesem Lied zu tanzen; vielleicht die Erinnerung an Johnny, der Musik und Geselligkeit und Frohsinn geliebt hatte, vielleicht aber auch das unvermittelte Bedürfnis, sie in seine Arme zu schließen. Nach meinem Dafürhalten waren die neuen Tänze nicht halb so schön wie der Walzer, dafür boten sie aber reichlich Gelegenheit für enge Umarmungen.
Es war immer wieder ein Augenschmaus, die beiden tanzen zu sehen, sie bewegten sich mit einer solchen Anmut, selbst zu dem (nach meiner Ansicht) ungelenken Twostepp. Sie trug ein blassblaues, mit Blümchen bedrucktes Voilekleid, die Kopie eines von Ramses’ Lieblingskleidern, das irgendwann zerfetzt und entsorgt worden war. Ihre Röcke flogen, als er sie herumwirbelte.
Mein sentimentaler Gemahl räusperte sich und fasste meine Hand. Wir schwiegen, dachten beide an dasselbe: an Johnny, einen von Millionen liebenswerten jungen Männern, die der Tod hinweggerafft hatte; und an einen anderen jungen Mann, der uns ungleich mehr bedeutete und der sich in die dunklen Abgründe des Kriegsgetümmels stürzen sollte. Würden wir unsere Kinder je wieder zusammen tanzen sehen?
»Ja«, sagte ich entschieden.
Mein geliebter Emerson und ich sind (gelegentlich) derart seelenverwandt, dass es keiner näheren Erklärung bedurfte. Er drückte meine Hand. »Ja«, wiederholte er. »Wie kommst du mit deinen Vorbereitungen zurecht, Peabody?«
»Danke der Nachfrage. Und du?«
»Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, bin ich bereit.«
Ramses kam und ging zu den sonderbarsten Zeiten; von mir darauf angesprochen, sagte er nur, dass er diverse Informationskanäle erforschen müsse. Er verbrachte viel Zeit allein mit Nefret. Ich nahm ihnen das nicht übel, dennoch konnte ich nicht umhin, sie eines Morgens zu fragen – wir waren allein –, ob er ihr etwas erzählt habe, was ich nicht wissen dürfe.
»Wenn ich ihm versprochen hätte, es dir nicht zu sagen, würde ich es auch nicht tun«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das ihren Worten die Schärfe nahm. »Aber da ist nichts.«
»Geht es dir gut, Nefret?«
»Ja, natürlich. Warum fragst du?«
»Du bist so gefasst. Mehr noch – so ernst und entrückt.«
»Gütiger Himmel, Mutter!« Sie prustete los. »Du hast eine Ausdrucksweise. Vielleicht habe ich mich zur Fatalistin entwickelt. Ich würde ihn begleiten, wenn ich könnte, aber allmählich begreife ich – endlich! –, dass mein Jammern und Klammern es nur schlimmer für ihn machen. Es gibt Gefahren, die muss man allein bewältigen.«
»Sicher«, sinnierte ich. »Allerdings ist gewiss nichts Verwerfliches daran, wenn man die Gefahr zu minimieren versucht.«
»Du führst doch wieder irgendwas im Schilde, oder?« Sie sah mich alarmiert an. »Mutter, sag jetzt nichts, wenn du nicht willst, dass Ramses es erfährt. Wir haben keine Geheimnisse vor einander.«
»Und das ist auch gut so. Vielleicht hätte ich besser nicht davon angefangen. Er würde sich nur aufregen. Keine Sorge, mein Schatz, ich werde nichts tun, was ihn gefährden könnte.«
Ich hatte nicht erwartet, dass Ramses uns großartig von seiner Abreise in Kenntnis setzen würde, deshalb lief meine eigene Planung auf Hochtouren. Und richtig, mein Sohn tauchte eines Nachmittags um die Teezeit auf, mit der Nachricht, dass er uns umgehend verlassen werde.
»Morgen bricht ein neuer Arbeitstrupp von«Freiwilligen»auf. Ich begleite sie bis Rafa, wo ich Chetwode treffen soll.«
Zu Beginn des Krieges hatte England den Ägyptern zugesagt, dass sie nicht in den Konflikt hineingezogen werden würden. Dieses Versprechen war – wie so viele andere – gebrochen worden. Einige der armen Kerle aus diesen Arbeitstrupps waren Freiwillige, die meisten jedoch von den örtlichen Behörden dazu verdonnert worden. Ich war überzeugt, dass Ramses sich hervorragend in das Bild einpassen würde; für einen Mann, der die Rolle des Bettlers, des Kameltreibers und des verrückten Derwischs verkörpert hatte, wäre die Tarnung als oberägyptischer Bauer ein Kinderspiel. Es klang nach einer ausgesprochen unbequemen Methode der Fortbewegung, aber Ramses ließ sich nichts Genaueres entlocken.
»Ah«, sagte ich. »Wenn das so ist, dann sollten wir mit dem Packen
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