Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
habe euch noch nicht von dem zerlumpten Bettler erzählt, der eigentlich ein verkleideter Polizist war – übrigens eine hervorragende Tarnung; er hatte Flöhe und stank entsetzlich.
Der heimtückische Alte war ein Dieb, müsst ihr wissen, der von vielen reichen Damen Schmuck gestohlen hatte und auch kostbare Artefakte aus dem Museum in Kairo.
Der Bettler wollte ihn stellen und vor Gericht bringen, aber letztlich gelang es nicht ihm, sondern Ramses.«
»Stimmt nicht«, warf Ramses ein, der es nicht mehr ertragen konnte. »Es war Vater mit –«
»Hmph«, räusperte sich Emerson geräuschvoll. »Sehr gut wiedergegeben, Selim. Sehen Sie, Vandergelt, es war nichts weiter als der Versuch, der Polizei unter die Arme zu greifen. Das ist die Pflicht eines jeden Bürgers.«
»Was ist mit der Jungfrau?«, bohrte Cyrus. »Sie haben sie nicht mitgebracht?«
Seufzend verdrehte Selim die Augen.
»Der – äh – Polizist hat sie mitgenommen«, sagte Ramses. Ihm reichte es allmählich.
»Er war ihr Geliebter, denke ich«, setzte Selim hinzu. »Ah, verstehe. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dir noch ein paar Fragen stelle, Selim?«
Selim hatte seinen Auftritt genossen, verspürte aber nicht das Bedürfnis, sich einem abschließenden Verhör mit Cyrus Vandergelt zu stellen. Hastig sprang er auf.
»Ich muss gehen. Es ist spät geworden. Vielen Dank für die reizende Gastfreundschaft.«
»Da sehen Sie es, Amelia!«, entrüstete sich Cyrus. »Wir dürfen ihn nicht unnötig aufhalten, Cyrus, er hat andere Verpflichtungen. Jumana, du bist ebenfalls entschuldigt. Selim wird dich nach Hause bringen.«
»Aber ich möchte –«
»Du warst krank und brauchst Ruhe.«
»Ich fühle mich schon viel besser!«
Sie schien wieder quicklebendig, mit rosigen Wangen und strahlenden Augen. Diese waren auf Ramses geheftet, mit einem Ausdruck, vor dem er am liebsten davongelaufen wäre. Seine Mutter wies sie zurecht: »Tu, was man dir sagt.«
Ramses begleitete Selim zur Tür, unterdessen holte Jumana ihren Umhang. »Ich schulde dir etwas, Selim«, murmelte er.
»Ich habe nur gesagt, was die Sitt Hakim mir aufgetragen hat. Und warum bist du ärgerlich? Ich weiß, was du getan hast. An deiner Stelle würde ich es jedem erzählen. Aber«, fuhr Selim fort, fasziniert von einer neuen Idee, »wir machen das, damit die Männer uns fürchten und die Frauen uns bewundern, stimmt’s? Alle Männer haben Respekt vor dem Bruder der Dämonen, und du hast das Herz der von dir geliebten Frau gewonnen. Wenn Nur Misur dich anschaut, ist es, als erstrahlte die Sonne in ihren Augen.«
»Ich bin nicht ärgerlich, Selim.« Ramses umarmte ihn, wie unter Ägyptern üblich. »Du bist ein guter Freund –
und ein unverbesserlicher Romantiker.«
»Und was ist daran falsch?«
Selims strahlende Miene verfinsterte sich, als Jumana aus dem Haus trat. Er schwang sich auf sein Pferd und hob sie so unsanft vor sich, als wäre sie ein Sack Getreide.
Ramses hörte noch, wie sie sich beschimpften, als sie fortritten. Geschieht ihnen beiden ganz recht, dachte er bei sich.
Bei seiner Rückkehr hatte seine Mutter die Gesprächsführung im Salon übernommen. »Unglaublich oder nicht, diese Geschichte hat Selim Daoud aufgetischt. Wenn Daoud sie entsprechend ausschmückt, wird sie kaum noch Ähnlichkeit mit den Fakten haben.«
»Und ich werde von Mal zu Mal mehr zum Hanswurst«, meinte Ramses säuerlich.
»Beschwer dich nicht«, sagte seine Mutter. »Gute Gü te, ich habe mein Bestes getan! Wir mussten unsere Abwesenheit doch irgendwie belegen. Unsere Freunde in Atiyeh haben das Automobil gesehen und erkannt, dass wir uns auf einen längeren Ausflug in die Wüste vorbereiteten. Als wir Khan Yunus verließen, wusste jeder, wer wir sind; sie werden diese Geschichte verbreiten, und frü her oder später wird das Gerücht von Ägypten nach Palästina überschwappen.«
»Eine tolle Geschichte«, räumte Cyrus ein. Er zündete sich ein Zigarillo an und lehnte sich zurück. »Und keinesfalls abstruser als etliche Ihrer anderen Abenteuer. Trotzdem, tut mir Leid, aber das mit der bildhübschen Jungfrau nehme ich euch nicht ab. Khan Yunus liegt nur zehn Meilen von Gaza entfernt. Muss ich mich deutlicher aus drücken?«
Auf sein wissendes Grinsen blinzelte sie verschämt.
»Seltsamerweise, Cyrus, entspricht die bildhübsche Jungfrau den Tatsachen. Allerdings wäre es zwecklos zu leugnen, dass unsere Mission nicht auch heiklere Aspekte umfasste. Sie wissen schon seit
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