Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
Ziegelhaufen, die sich nördlich von ihnen erstreckten – die Überreste der einst so stolzen Totentempel anderer Pharaonen. Westlich von Ramses’ Tempel war der Boden mit zertrümmerten Gesteinsbrocken übersät, vermutlich die früheren Wirtschaftsgebäude des Tempels.
»Wie sollen wir sie in diesem Chaos finden?«, hauchte Nefret, bemüht, lautlos aufzutreten.
»Pssst.« Ramses verharrte, lauschte mit gerecktem Kopf. Er musste etwas gehört haben, denn er fasste ihren Arm und zog sie weiter, zu einem der Geröllberge. Sie hatten diesen fast erreicht, als auch Nefret die Stimmen vernahm.
»Du hast dich verspätet«, flüsterte Jumana. »Geht es dir gut?«
»Hast du das Geld mitgebracht?«
»Alles, was ich auftreiben konnte. Es ist nicht viel.«
»Es ist zu wenig. Ich brauche mehr. Nimm es von den Engländern und bring es mir morgen Abend.«
»Von ihnen stehlen? Nein, das werde ich nicht tun, Jamil. Der Vater der Flüche hat gesagt, dass er dir helfen will. Geh zu ihm, erzähl ihm, dass du –«
»Was kann der Vater der Flüche schon für mich tun – mich als Korbträger einstellen? Warum sind sie in Deir el-Medina?«
»Zur Exkavation – was sonst? Sie vertrauen mir. Sie unterrichten mich in dem, was ich lernen möchte.«
»Aber sie waren auf dem Friedhof der Affen. Ich dachte, sie wollten dort arbeiten.«
»Du hast ihnen nachspioniert!«
»Sie beobachtet«, korrigierte Jamil. »Was ist daran verwerflich?«
»Nichts …« Sie stockte. »Jamil, sie haben die Leiche von Abdul Hassan in dem Grab gefunden. Hast du … Du warst doch nicht etwa derjenige, der ihn umgebracht hat, oder?«
»Es war ein Unfall. Er ist gestürzt.« Jumanas erschrecktes Seufzen drang zu Nefret, und Jamil erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Seine Stimme wurde sanft und einschmeichelnd. »Jumana, ich hab es nicht ernst gemeint, als ich damit drohte, den Bruder der Dämonen umzubringen. Ich will niemandem etwas Böses! Liebste Schwester – ich weiß, wo noch ein anderes Grab ist. Es ist im Gabbanat el-Qirud. Siehst du nun, wie sehr ich dir vertraue? Ich brauche nur genug Geld, um mich so lange über Wasser zu halten, bis ich einige kleinere Grabbeigaben verkaufen kann. Das ist kein Verbrechen. Die Gräber gehören nicht den Engländern, sondern uns!«
Ramses raunte Nefret ins Ohr: »Ich schleiche mich von hinten an. Ich bezweifle, dass er bewaffnet ist, aber wenn, dann komm ihm nicht in die Quere.«
Er drückte sie kurz und verschwand. Ein Schakal heulte in den Bergen, und die Dorfhunde kläfften zur Antwort. Behutsam setzte Nefret einen Fuß vor den anderen. Sie konnte sie jetzt sehen, dunkle Konturen vor einer aufragenden Ruine. Jamil bewegte sich; er trug ein Gewand in einer gedeckten Farbe, dunkelblau oder -braun, doch sein Turban zeichnete sich hell vor der Ziegelfassade ab. Jumanas zierliche Gestalt war in bleiches Sternenlicht getaucht. Sie versuchte weiterhin, ihn zur Aufgabe zu bewegen, schien jedoch unschlüssig geworden. Jamil forderte nicht mehr, er bettelte und flehte. Er legte einen Arm um sie, und sie schmiegte sich an ihn.
Der Boden war ein irritierendes Gewirr von Geröll und Mauerwerk, von gespenstischen Schatten und diffusem Licht, aber Nefret konnte einen Pfad ausmachen, der sich schmal und gewunden von dem Zugang, wo sie stand, bis zu der Ruine schlängelte. Es war der schnellste und leichteste Weg aus dem Gelände, aber sicher nicht der einzige.
»Komm morgen Abend wieder«, drängte Jamil. »Auch wenn du das Geld nicht mitbringen kannst, dann kann ich dich wenigstens sehen. Du hast mir gefehlt.«
»Ich werde es versuchen«, wisperte Jumana. »Ich habe dich auch vermisst und mir Sorgen um dich gemacht, Jamil, bitte, willst du denn nicht –«
»Wir werden morgen darüber reden.« Er befreite sich aus ihrer Umarmung und strebte davon, über den Pfad, den Nefret bemerkt hatte, und in ihre Richtung.
»Jamil!« Ramses hatte gewartet, bis der Junge sich ein Stück von seiner Schwester entfernt hatte. Jetzt trat er hinter dem verfallenen Mauerwerk hervor. Obwohl Nefret ahnte, dass er irgendwo dort sein musste, schrie sie bei seinem plötzlichen Auftauchen unwillkürlich auf. Wie von unsichtbarer Hand geschlagen, schrak Jamil zusammen, dann schnellte er herum und stieß einen noch lauteren Schrei aus, als er Ramses auf dem Geröllberg postiert sah – wie ein ausgesprochen attraktiver Geist, dachte Nefret bei sich.
»Bleib stehen«, befahl Ramses. »Wir wollen nur mit dir reden.«
Für ein, zwei
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