Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
du dich fühlst, Vater. Wir müssen unser Bestes tun.«
»Red nicht wie deine Mutter«, knurrte Emerson. Er nahm ein Sandwich, doch statt hineinzubeißen, starrte er auf den Boden und sagte unvermittelt: »Weißt du, ich schließe mich deiner Argumentation an. Der wichtigste Aspekt unseres Berufs ist die Dokumentation. So rasch wie die Monumente verfallen, wird nicht mehr viel erhalten sein, wenn deine Kinder erwachsen sind.«
Wenn man bedenkt, dass sie nicht einmal geboren sind, kann das noch lange dauern, überlegte Ramses.
Nefret und er mieden das Thema Kinder, und der Rest der Familie folgte ihrem Beispiel. Einige von ihnen, darunter auch seine Mutter – und er selber – wussten, dass das Problem, nicht wieder schwanger zu werden nach der Fehlgeburt, die sie vor einigen Jahren erlitten hatte, Nefret mehr zusetzte, als sie zugab. Auch er wollte ein Kind, aber seine Empfindungen waren nicht maßgebend, verglichen mit ihren.
Sein Vater schien den Fauxpas nicht bemerkt zu haben – wenn man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte. Er fuhr zunehmend hitziger fort: »Aber, verflucht noch mal, unentdeckte Gräber dem Gnadenakt von Dieben zu überlassen, lädt nur zu weiterer Zerstörung ein. Sie als Erster zu finden, ist auch eine Variante der Erhaltung, oder?«
»Ja, Sir.«
»Stimm nicht allem zu, was ich sage!«, polterte Emerson.
»Nein, Sir.«
»Da, schon wieder.«
»Ja …« Er ließ das »Sir« weg. Emersons verdrießliche Miene demonstrierte, dass er momentan keinen Spaß verstand. Ramses fuhr fort: »In diesem Fall haben wir ein weiteres, gleichermaßen vertretbares Motiv für die Erforschung dieses Gebiets. Man könnte es auch Selbstverteidigung nennen.«
Es gelang ihm nicht, seinen Vater aufzuheitern. Emersons Miene verfinsterte sich zusehends. »Es ist einfach grotesk«, brummte er. »Ich lehne es ab, meine Zeit zu verschwenden, nur um eine miese kleine Ratte wie Jamil aufzuspüren.«
Ramses konnte ihm das nachempfinden. In der Vergangenheit hatten sie es mit ganz anderen Widersachern zu tun gehabt. Von einem derart schwachen Gegner wie Jamil angegriffen zu werden, kam für seinen Vater einer verfluchten Beleidigung gleich. Allerdings ist es leichter, einen Löwen zu fangen als eine Ratte. Er beschloss, diesen tröstlichen Vergleich nicht laut zu äußern. Es hätte zu sehr nach einem Aphorismus seiner Mutter geklungen.
»Wir werden ihn finden, Vater«, sagte er stattdessen.
»Hhmmm. Ja. Äh …« Sein Vater klopfte ihm abwesend auf den Arm. »Du wirst noch Gelegenheit für deine Kapellen bekommen, mein Junge. Versprochen.«
»Aber, Vater, ich will doch gar nicht –«
»Hier entlang.«
Sie lokalisierten zwei Schachtgräber, die bereits in der Frühzeit geplündert worden waren, viele Tonscherben und eine Reihe von hieratischen Inschriften, in das Felsgestein geritzt von den Friedhofs-Inspektoren, die dieses Gebiet zu Zeiten der Pharaonen besucht hatten. Mehrere Namen waren ihm von ähnlichen Inschriften im Tal der Könige bekannt. Es war ein weiterer Beweis, dass dort in den Wadis verschollene Gräber waren, vermutlich sogar Königsgräber. Zu Emersons extremer Verärgerung fanden sie auch Zeitgenössisches: die Initialen H. C. und das Datum 1916.
»Carter, zum Henker mit ihm«, schnaubte er.
»Du kannst ihm nicht verübeln, dass er vor dir hier war«, beschwichtigte Ramses ihn.
»Ich war vor dreißig Jahren hier«, versetzte Emerson. »Aber ich habe meinen Namen nicht überall hingekritzelt.«
»Es ist eine Geste der Höflichkeit, Vater, ein Hinweis für alle Interessierten, dass er diese Inschriften kopiert hat. Das nehme ich doch an, oder?«
»Ich würde ihn fragen, wenn ich den Burschen endlich zu fassen bekäme«, zischte Emerson. »In Kairo war er nicht, und in Luxor ist er auch nicht! Wo zum Teufel steckt dieser Mann?«
»Irgendwo unterwegs im Auftrag des Kriegsministeriums, schätze ich. Er sagte doch, dass er für den Nachrichtendienst arbeitet.«
»Pah«, entfuhr es Emerson. »Ramses, ich möchte Kopien dieser Felsinschriften. Carter versteht die Sprache nicht. Deine sind mit Sicherheit exakter.«
»Soll ich sofort damit anfangen?«, erkundigte sich Ramses.
»Nein, wir haben nicht genug Zeit. Ein anderes Mal.«
Ein anderes Mal, ein anderer Vorwand, dachte Ramses, seinen Unmut verbergend. Es gab keinen Menschen, den er mehr bewunderte als seinen Vater, aber manchmal ging ihm Emersons Halsstarrigkeit gehörig auf die Nerven. Ich werde ihn noch einmal auf Deir
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